Günther Goldstein (78) und der Oldtimer seines Lebens „Man muss ein bisschen verrückt sein“

Günther Goldstein und sein Bruder Jürgen sitzen in Günthers Oldtimer, einem Triumph TR4.
Günther Goldstein (r.) am Steuer seines Oldtimers: ein Triumph TR4. Beim Oldtimertreffen in Ascheberg hat er auch seinen Bruder Jürgen getroffen, der selbst einen Oldtimer hat: einen Porsche 944 S2, der allerdings 25 Jahre jünger ist als der Triumph. © Sylvia vom Hofe
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Der Fahrtwind rauscht. Das Stoffverdeck wackelt. Und dann ist da noch der Motor: dieses sonore Knattern und Brabbeln, in das sich immer wieder ein schlurfendes Saugen des Doppelvergasers mischt. Für manche ist das Krach, für Günther Goldstein Musik.

„Alle reden von der Generation Z“, sagt der Mann hinter dem hölzernen Lenkrad, ohne dafür die Stimme zu sehr heben zu müssen. So laut ist es dann auch wieder nicht in dem dunkelgrünen Coupé: ein Triumph TR 4, ein respektabler britischer Sportwagen aus dem Jahr 1966. Die Angehörigen der Gen Z sind mehr als 30 Jahre jünger. Sie sind zwischen 1997 und 2012 geboren. Warum diese Gruppe „“Z“ heiße, als wenn danach nichts mehr komme, habe er nie richtig verstanden, sagt Günther Goldstein. Er selbst ist Jahrgang 1947. Oder wie er es ausdrückt: „Ich gehöre der Generation A an: A wie Auto.“

Zwischen A und Z liegen nicht nur ein ganzes Alphabet und mindestens ein halbes Jahrhundert, sondern auch ein veränderter Blick auf Mobilität: Noch nie war der Anteil derer, die den persönlichen Autobesitz wichtig findet, so klein wie in der Generation Z: 68 Prozent laut einer Mc Kinsey-Befragung. In der Nachkriegsgeneration galt das Auto dagegen als zentrales Statussymbol. Für Günther Goldstein, neuerdings stolzer Eigentümer eines eleganten Oldtimers, liegt die Sache etwas anders. Das erklärt er unterwegs zwischen Lünen, Selm und Werne.

Von Zwischengas und Muskelkraft

„Für mich ist es immer eine Notwendigkeit gewesen, ein Auto zu besitzen“, sagt Goldstein. Als Fotograf muss er schnell und verlässlich von einem Ziel zum nächsten kommen können. Ohne Auto sei das im ländlichen Bereich – Goldstein wohnt zwischen Cappenberg und Bork – gar nicht möglich. Zu seinen Fototerminen fährt er aber in einem Hybrid und nicht in dem eleganten Triumph TR 4. Für das betagte Auto ist dagegen der Weg das Ziel. Und der führt gerade in Richtung Ascheberg.

Goldstein hält das große, hölzerne Lenkrad mit beiden Händen umfasst. Hydraulische oder elektrische Unterstützung beim Lenken gibt es hier nicht. Soll der Triumph Kurven fahren – und diese engen Landstraßen sind voll davon -, muss der Fahrer Muskelkraft anwenden. Will er bremsen, muss er vorausschauend sein: Denn auch ABS gibt es nicht. Stattdessen muss er beim Schalten wieder Zwischengas geben. „Wie früher.“

Hinter dem Lenkrad zittert die Tachonadel zwischen 40 und 50. Zu wenig, wie der Mann in der modernen grauen Limousine hinter dem Triumph meint. Wild gestikulierend setzt er – den Kurven zum Trotz – zum Überholen an. „Wir fahren 70“, sagt Goldstein: Höchstgeschwindigkeit auf dieser Strecke. Der runde Geschwindigkeitsmesser im Edelholz-Furnier misst per Meilen. „Man muss die Angabe mal 1,6 rechnen, dann passt‘s.“

Erinnerungen an den Familien-Käfer

Das tiefgrüne, makellos restaurierte Gefährt lässt den 78-Jährigen nicht nur die Gegenwart bewusster erleben. Es ist auch so etwas wie eine Rückfahrkarte in die Vergangenheit. Goldsteins Erinnerungen sind eng verknüpft mit Autos. „Wir sind mit einem VW-Käfer Baujahr 1954 jedes Jahr in den Urlaub gefahren, ins Allgäu.“ Seine Eltern vorne und hinten er und die beiden Geschwister – mit Koffern auf den Knien. „3990 D-Mark hatte er gekostet.“ Was sich heute wie ein Schnäppchen anhört, war damals eine stolze Anschaffung. Der durchschnittliche Monatslohn betrug damals in Westdeutschland etwa 353 Deutsche Mark.

Günther Goldstein kann sich noch genau erinnern, wie er an seinem 18. Geburtstag, zwei Tage nach erfolgreicher Führerscheinprüfung, mit seinem Vater zum Straßenverkehrsamt Dortmund fuhr, um den „grauen Lappen“ abzuholen. Auf der Rückfahrt durfte er ans Steuer. Dann dauerte es nicht mehr lange, bis er, kaum dass er sich an der Fachhochschule Dortmund eingeschrieben hatte, den Käfer ganz übernahm. Lange hielt der unermüdliche Dauerläufer mit dem ovalen Rückfenster das Studentenleben aber nicht aus. „Ein Kommilitone überdrehte ihn: Kolbenfresser.“

1,85-Meter-Mann im Mini

Günther Goldsteins nächstes Auto: ein quietschgrüner Mini. „Den habe ich bei einem Schrauber am Borsigplatz gekauft.“ Ein Hingucker, nicht nur wegen der Farbe. „Die Leute haben mir immer interessiert zugeschaut, wie ich darin eingestiegen bin“, sagt Goldstein und schmunzelt. Er misst 1,85 Meter. Der Austin Mini war um 1970 gerade einmal 3,05 Meter lang: echt mini. Bei der Höhe konnte der quietschgrüne Kleinstwagen allerdings mit dem dunkelgrünen Triumph TR4 mithalten. Der Oldtimer, den Goldstein vor rund einem Jahr gekauft hat, ist mit 1,27 Metern sogar noch 8 Zentimeter kleiner als der Mini von einst. Das erste englische Auto, das es Goldstein angetan hatte, war noch viel kleiner: der stromlinienförmige Jaguar E: „Mein erstes Modellauto von Revell.“ Eine Schönheit, wie er immer noch findet.

Alle seine Autos kann der 78-Jährige gar nicht mehr spontan aufzählen. „Außer Opel und Ford bin ich fast alles gefahren.“ Ja, er sei wohl autoverrückt, räumt er ein. „Das bedeutet, dass man auch wirklich verrückte Sachen macht.“ Um sich einen Porsche zu kaufen, habe er „einen wunderschönen Mercedes 230 SL“ verkauft, „Ich hatte das Auto damals für 10.000 D-Mark gekauft und habe es für 12.000 D-Mark verkauft.“ Kurz danach sei der Preis dafür durch die Decke gegangen.

Von Mister Brown „abgenudelt“

Um sich über verpasste Gelegenheiten zu ärgern, ist das Leben aber zu kurz, wie er findet. „Als ich so ins letzte Viertel meines Lebens kam, hab ich gedacht: Du musst noch mal was Verrücktes machen.“ Der bewunderte Jaguar E blieb unerschwinglich, aber dann sah Goldstein in zwei englischen Krimis den Triumph TR 4: klassisch, charmant. Dass aus der Träumerei chromglänzende Realität wurde, hat mit einem Zufall zu tun. Goldsteins ehemaliger Nachbar Hans Grubendorfer aus Cappenberg erzählte ihm, genau so einen TR4 besessen und vor Jahren an jemanden aus Bergkamen verkauft zu haben. Vielleicht würde der verkaufen wollen? Tatsächlich. Goldstein fuhr hin, sah den Triumph und war hin und weg. Für 30.000 Euro wechselte das Auto den Besitzer. Ein Glücksmoment für Günther Goldstein. Für seine Frau nicht unbedingt. Sie habe „nicht gerade gejubelt“, sagt er, ihn aber machen lassen.

Goldstein ist der vierte Besitzer des TR 4. Ein gewisser Mister Brown aus Washington war der erste. „Das Auto war für den US-Markt produziert worden. Deshalb ist es auch kein Rechtslenker.“ Während Goldstein und seine beiden Vorgänger im Fahrzeugschein mit dem Wagen wie mit einem rohen Ei umgehen, war Mister Brown anders. „Der hat ihn ziemlich abgenudelt.“ Was später per Container in Bremerhaven ankam, glich eher einem Schrotthaufen als einem Schmuckstück, sagt Goldstein und setzt den Blinker. Das Gasthaus Frenking in Ascheberg ist erreicht: der Ort für das erste Oldtimertreffen, an dem Goldstein nicht nur als Fotograf, sondern selbst als Aussteller teilnimmt,

Die Sache mit der Ökobilanz

Einige der anderen Oldtimerbesitzer haben Klappstühle gebracht. Um es sich bequem zu machen beim Fachsimpeln. Günther Goldstein bleibt dafür stehen.

Was denn in den Kofferraum passe, will jemand wissen: „Ein bisschen mehr als eine Zahnbürste und einen Satz Schlüpfer.“ Wie zum Beweis lässt er die Klappe hochspringen und gibt den Blick frei auf einen Hammer und einen Satz englisches Werkzeug „Damit der ADAC-Mann bei einer Panne gut versorgt ist.“

Nein, wie viel das Auto verbrauche, könne er noch gar nicht sagen. Vielleicht um die 15 Liter auf 100 Kilometern. Den 60-Liter-Tank fahre er lieber nie leer. Fest steht: Als der TR 4 mit dem 2,2-Liter-Reihenmotor mit etwa 100 PS, aber ohne Katalysator, vor fast 60 Jahren vom Band lief, störten sich die Menschen noch nicht an dem hohen Verbrauch und dem hohen CO2-Ausstoß. Und heute? Autofahren sei doch nie klimafreundlich, sagen die Oldtimerfans, von denen jetzt mehrere rund um das dunkelgrüne Cabrio stehen. Die nur geringe Fahrleistung und die lange Lebensdauer der gepflegten alten Fahrzeuge relativierten aber die schlechte Ökobilanz.

Nach einer Stunde dreht Günther Goldstein wieder den Schlüssel im Zündschloss. Entspannt rollt er mit offenem Verdeck und vielen neuen Kontakten zurück zur Landstraße. In das zunehmende Rauschen und Knattern hinein lacht er. Dass ein Sportwagen zur Entschleunigung beiträgt, hätten die Autobauer vor 60 Jahren wohl auch nicht gedacht.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 2. Juni 2025.

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