
Wer Achterbahnfahren mag, wird den Start in einem Segelflugzeug auf dem Flugplatz Hengsen-Opherdicke lieben: Über eine Winde wird der Gleiter in zwei bis drei Sekunden auf gut 100 km/h beschleunigt. Ist eine Höhe von gut 450 Metern erreicht, erfolgt ein beherzter Griff an einem Seilzug und mit einem deutlichen Klack-Geräusch wird das Schleppseil ausgeklinkt. Ein dreifaches Nachziehen stellt sicher, dass das Kunststoffseil auch tatsächlich ausgelöst hat.
Geschafft: Der Start ist geglückt und die Kontrolle über den Gleiter hat nun der Pilot. Das bin glücklicherweise nicht ich: Hinter mir im Ausbildungsflieger mit der Kennung D-8984 sitzt Fluglehrer Philipp Pampus und manövriert den Zweisitzer vom Typ Schleicher ASK 13 sanft in eine Rechtskurve über ein Feld, auf dem ein Landwirt gerade sein Heu wendet.
Ich sitze zum ersten Mal in einem Segelflugzeug. Der Wind rauscht in den Ohren. Es ist warm unter der Kunststoffkuppel im schmalen Cockpit. Das flaue Gefühl im Magen durch die Beschleunigung beim Start verflüchtigt sich. Der Blick übers Land fasziniert. Mein Kopf sortiert unentwegt Eindrücke.
Ich denke darüber nach, dass ich die gleichen Instrumente und Bedienelemente vor mir habe wie mein Fluglehrer hinter mir. Die soll ich schon während meines zweiten Fluges selbst bedienen? Herr Pampus, war schön mit Ihnen, aber wir werden abstürzen.
Fliegen für Anfänger im zweitägigen Schnupperkurs
Natürlich ist niemand abgestürzt. Ich habe Steuerknüppel und Fußpedale tatsächlich selbst bedient, die Instrumente im Blick gehabt und ein rund 280 Kilogramm leichtes doppelsitziges Gleitflugzeug eigenhändig auf einer Wiese im Süden von Hengsen gelandet.
Aber der Reihe nach: Mein Erstflug ist der praktische Auftakt in mein Schnupperwochenende beim LSV Unna-Schwerte an einem Samstag im Juni. Während ich den Kopf in alle Richtungen drehe, um gen Sauerland zu schauen, dann den Blick über den Truppenübungsplatz und gen Dortmund richte, hat der Mann hinter mir nur Augen für den Heu wendenden Traktor.

Stets auf der Suche nach Auftrieb
„Ja, ein bisschen geht was“, sagt Philipp Pampus und verweist auf das Variometer, das Steig- und Fallgeschwindigkeit in Metern pro Sekunde anzeigt. Die Nadel zuckt nach oben. Auch wenn der 30-jährige Holzwickeder hinter mir sitzt, erahnt er meinen fragenden Gesichtsausdruck wohl: „Wenn der da unten Heu wendet, wirbelt er warme Luft auf, die nach oben steigt und uns Thermik beschert.“
Moment. Wir schweben mit etwa 80 km/h circa 500 Meter über dem Boden und hier will mir einer weismachen, dass der Heuwender da unten dafür sorgt, dass wir an Höhe gewinnen? „Kein Scherz“, sagt der Experte. Er muss es wissen: Philipp fliegt seit er 14 Jahre jung ist. Das Elternhaus steht in der Nähe, Vater Dirk gehört durch die räumliche Nähe zum Gelände quasi zum Vereinsinventar. „Wir sind Flugplatzkinder“, sagt Philipps Schwester Kim später zu mir lachend. Sie ist natürlich auch Fliegerin und zudem Jugendleiterin im Verein.
Die Umgebung lesen: Zwischen meinen Ausflügen in die Luft merke ich am Boden sehr schnell, was für Segelflieger zählt: Wo bilden sich Wolken, die aufsteigende Warmluft verraten? Wo kreisen Greifvögel? Gleiten sie mühelos durch die Luft oder müssen sie mit Flügelschlägen nachhelfen? „Ich schaue gar nicht so sehr auf die Instrumente“, sagt denn auch Philipp Pampus in der Luft.
Thermik entscheidet über Minuten oder Stunden in der Luft
Wenn die Bedingungen stimmen, dann sind er und die Vereinskameraden auch mal über Stunden in der Luft. „Der weiteste Flug von Hengsen aus stand am Ende bei knapp 700 Kilometern“, sagt der 30-Jährige. Naheliegendes Flugziel ist für die Flieger oft das Sauerland – auch weil hier wenig Restriktionen gelten. Denn vom Start weg mal eben nach links abdrehen, das geht ohne Sondererlaubnis nicht: Der Luftraum über und um den Flughafen Dortmund ist in der Regel tabu.

Gastflüge und Schnupperkurse
- Wer sich für einen einfachen Flug oder gar für ein Wochenende mit den Segelfliegern des LSV Unna-Schwerte interessiert, erreicht den Verein an Wochenenden unter (02301) 9 18 91 19 oder per Email: info@flugplatz-hengsen.de
- Vom 30. Juli bis 15. August ruht der Betrieb in Hengsen: Dann ist der Verein quasi ausgeflogen – und gehen die Mitglieder beim jährlichen Fluglager vom niedersächsischen Melle aus in die Luft.
- Weitere Infos finden sich auf der LSV-Webseite:www.flugplatz-hengsen.de
Mein erster Flug ist nach weniger als zehn Minuten vorbei. Zum einen spielt die Thermik nicht mit und außerdem: Ich habe ja noch einige Starts vor mir. Sechs Starts bekommt geboten, wer 75 Euro in einen Schnupperkurs beim Luftsportverein investiert. Auch Gastflüge für je 30 Euro hat der Verein im Angebot. Stimmen die Bedingungen sind dann aber maximal 15 Minuten über dem Boden drin.
„Vor zwei Jahren habe ich einen Gastflug gemacht, dann ist das ganze in Vergessenheit geraten. Aber weil wir von unserem Garten aus in Geisecke immer die Flieger sehen, dachte ich: Mach nochmal einen Schnupperkurs“, sagt Valentina Günther. Das war vor etwas mehr als zwei Monaten. Seitdem sitzt die 19-Jährige regelmäßig im Cockpit.

Die „13“ meint es gut mit Luftfahrt-Neulingen
Dann steht mein zweiter Start an und nach dem Ausklinken soll ich mit Steuerknüppel die Höhen- und Querruder bewegen. Mit zwei Pedalen wird zudem das Seitenruder nach links oder rechts über die Füße gesteuert. Mein Kopf ist überfordert. Beruhigend: Der „13“ genannte Ausbildungsflieger gleitet per se von allein durch die Luft und verliert auch nicht von jetzt auf gleich an Höhe. Die Angst des Laien vor einer Bruchlandung ist unbegründet, der Flieger verzeiht und dann ist da ja auch noch Philipp, der jederzeit eingreifen kann.
Und dann schiebt es sich mehr und mehr ins Bewusstsein – dieses majestätische Gefühl, das einem kein Passagierflug nach Mallorca bieten kann: Ich fliege.
Eine kräftige Seilwinde und schon ist der Segelflieger in der Luft? So einfach ist das nicht. Warum Segelfliegen ohne Teamwork nicht funktioniert und mitnichten ein Sport für elitäre Besserverdiener ist, lesen Sie im nächsten Teil.