
Es war die große Leidenschaft seiner Frau Sylvia: alte Militärfahrzeuge aus den USA. „Das färbt natürlich ab“, sagt Jens Steinhoff. „Das war sogar unser Hochzeitswagen.“ Doch in diesem Oldtimer veränderte sich das Leben des Paares am 2. August 2023 innerhalb von Sekunden.
Es war 9.40 Uhr, als Jens und Sylvia Steinhoff mit ihrem Dodge Command WC 58 durch Haltern am See fuhren. Sylvia saß am Steuer, Jens an ihrer Seite. Über die Weseler Straße wollte das Paar aus Lüdinghausen nach Belgien in die Nähe von Antwerpen fahren. Wommelgem heißt die belgische Gemeinde, in der jährlich ein Treffen von Sammlern alter Militärfahrzeuge stattfindet.

„Meine Frau ist Mitglied im Verein“, sagt der 54-Jährige. „Es war auch ihr Auto, mit dem wir unterwegs waren. Soweit wir wissen, war es der einzige Dodge Command in diesem Zustand, bei dem die Nummer vom Motor und Rahmen noch zusammengehörten.“ Das historische Fahrzeug sollte samt Anhänger Teil der Ausstellung werden, in dem viele Originalstücke und Exponate aus dem Zweiten Weltkrieg gezeigt wurden.
Leidenschaft für Militärfahrzeuge
„Sylvia macht das schon seit 20 Jahren“, sagt Jens Steinhoff. Wenn er über seine Frau spricht, hört man an seiner Stimme, wie stolz er ist. Wie glücklich, dass seine Liebste so sehr für ein Thema brennt. „Früher wollte die Teile niemand haben, heute ist das richtig wertvoll. Doch jetzt ist der Wagen leider weg.“
Mit etwa 60 Kilometern pro Stunde ist das Ehepaar an besagtem Mittwoch über die Landstraße gefahren. „Wir sind so gefahren, wie man mit dem Oldtimer fahren kann. Wenn man schneller fährt, wird es schnell ungemütlich – sowohl für die Fahrer als auch das Auto.“

Auf Höhe der Granatstraße kam ihnen ein Lastwagen entgegen. Der Lastwagen-Fahrer war in Richtung Haltern unterwegs, die Steinhoffs in die entgegengesetzte Richtung nach Holland. Hinter dem Lastwagen fuhr ein weißer Kleinbus. Der Kleinbus scherte plötzlich aus, überholte den Lastwagen und bog in die Granatstraße ein.
„Das war so kurz vor uns, dass meine Frau eine Notbremsung machen musste“, sagt Jens Steinhoff. „Aber eine Notbremsung mit einem Fahrzeug aus Baujahr 1942 zu machen, bedeutet: kein Stabilisierungssystem.“ Sie gerieten ins Rutschen. Und stießen frontal mit dem 40-Tonner zusammen.
Dem alten Militärfahrzeug fehlte nicht nur ein Stabilisierungssystem. Das Auto hatte weder Gurte noch Türen. „Wir wurden beide aus dem Auto geschleudert. Der Lastwagen kam auf dem Arm von Sylvia zum Stehen.“
Ehepaar schwer verletzt
Zum Erstaunen der Rettungskräfte war Jens Steinhoff nur leicht verletzt. So beschreibt er es jedenfalls selbst. Fast beiläufig erwähnt er, dass eine Not-OP durchgeführt werden musste, um seine Beine zu retten. Wenn er über sich spricht, benutzt er mehrfach das Wort „relativ“.
„Die Adern zu meinen Füßen waren abgeklemmt. Verglichen zu meiner Frau war das relativ harmlos“, sagt er. „Es geht mir auch wieder relativ gut. Ich kann wieder gehen. Meine Beine sehen aus wie ein Puzzle, aber im Großen und Ganzen ist es okay.“
Nach vier Tagen durfte der 54-Jährige das Krankenhaus verlassen. Seine Frau Sylvia hat es auch 8 Wochen nach dem Unfall noch nicht aus dem Krankenhaus geschafft. Sie erlitt mehrere Knochenbrüche am Kopf. Die Narben im Gesicht werden sie ihr Leben lang an den Unfall erinnern. Ihr Augenlicht konnten die Ärzte retten. Doch ihren rechten Arm hat es am schlimmsten getroffen.

„Der Arm war einfach Matsch“, sagt Jens Steinhoff. Beim Aufprall wurde die 49-Jährige unter der Achse des Lastwagens eingeklemmt. „Ihr Arm wurde komplett geschält. Es waren nur noch Knochen und Sehnen zu sehen. Leider Gottes war es ihr rechter Arm.“
Sylvia Steinhoff ist Rechtshänderin. Sie benutzt ihren rechten Arm allerdings nicht nur zum Schreiben, sondern auch zum Zeichnen und Illustrieren. Das ist der Job der 49-Jährigen. Jedenfalls war er es bis zum Unfall. „Wenn es gut läuft, wird sie ihre Hand für alltägliche Dinge wieder benutzen können“, sagt ihr Mann. „Aber sie wird ihre Feinmotorik nie wieder erhalten. Sie wird ihren Job nie wieder ausüben können.“
Jens Steinhoff beschreibt seine Frau als „sehr robust“. Doch durch den Unfall ist sie angeschlagen. „Sie ist fürchterlich frustriert“, sagt er. „Der Oldtimer und das Zeichnen waren ihr Leben. Sie glaubt nicht mehr an die Zukunft. Wenn ich von Urlauben erzähle, die wir machen könnten, dann glaubt sie nicht daran, dass sie jemals da hinfahren könnte.“

Die 49-Jährige erinnert sich noch genau an den Unfall. Sie erinnert sich daran, wie der Lastwagen über ihren Arm gefahren ist. An das Gefühl, als das Fleisch von ihrem Arm über den Asphalt abgerubbelt ist. Sie weiß noch, wie ein Ersthelfer vor Ort eine Decke über ihren Mann gelegt hatte, in der Absicht, ihn zu wärmen. Doch für Sylvia Steinhoff hatte es den Anschein, als wäre ihr Mann beim Unfall verstorben. „Es wird lange dauern, unsere Traumata loszuwerden“, sagt Jens Steinhoff.
Er selbst unterbricht häufiger das Gespräch, um sich zu fangen. Muss immer wieder mit den Tränen kämpfen. „Ich erinnere mich nicht mehr an den eigentlichen Unfall“, sagt er. „Ich weiß noch, wie wir losgefahren sind und wie ich im Krankenhaus aufgewacht bin. Ein Arzt hat mir eine Maske aufgedrückt und gesagt, dass er eine Not-OP durchführen muss.“
Er fängt an zu weinen. „Ich bin nicht mehr belastbar.“ Fast täglich fährt Jens Steinhoff von Lüdinghausen nach Duisburg ins Krankenhaus, um seine Frau zu besuchen. „Eigentlich ist die Strecke nicht weit“, sagt er. Letztens stand er allerdings im Stau. Und auch, wenn er durch den Unfall keine Angst vorm Autofahren bekommen hat, musste er plötzlich weinen. „Ich bin anfällig für alles Mögliche. Ich bin nicht mehr resilient.“
Fahrer flüchtet nach Unfall
Der Fahrer des weißen Kleinbusses, der den Lastwagen überholt hat und Ehepaar Steinhoffs so ins Schleudern gebracht hat, ist nach dem Unfall geflüchtet. Die Polizei hat direkt nach dem Unfall die Fahndung aufgegeben – doch es fehlt noch immer jede Spur.
„Ich habe keine Hoffnung mehr, dass der Fahrer gefasst wird“, sagt Jens Steinhoff. „Es kann sein, dass es noch einen Glückstreffer gibt. Oder, dass jemand ein schlechtes Gewissen bekommt.“
Ein Freund des Paares hat allerdings noch Hoffnung. In Absprache hat Ulrich Hupperz Flyer gemacht und in Haltern verteilt. Auch die Polizei bittet Zeugen weiterhin, sich telefonisch (Tel.: 0800/2361 111) zu melden.