
Warum gibt es in Dortmund rund 1300 ausreisepflichtige Ausländer, aber dieses Jahr nur 67 Abschiebungen? Wir beantworten mithilfe von Stadt und Insidern die wichtigsten Fragen.
Wie viele Ausländer gibt es in Dortmund?
Etwa 612.000 Menschen leben derzeit in Dortmund, darunter rund 137.000 „Passausländer“, wie es in der offiziellen Bezeichnung heißt. Zu ihnen zählen 55.000 Menschen aus Ländern der Europäischen Union.
Dürfen auch Menschen aus Nicht-EU-Ländern in Dortmund wohnen?
Häufig ja – und das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Laut Angaben der Stadt gibt es in Dortmund beispielsweise rund 6000 Studierende. Natürlich werden sie nicht ausgewiesen oder abgeschoben. Auch nach dem Abschluss des Studiums dürfen sie normalerweise bleiben – auch, um sie als Fachkräfte zu gewinnen. Ähnlich sieht es aus bei Menschen, die hier eine Berufsausbildung machen. Auch dort sehen die Behörden eine Bleibeperspektive.
Wer aber wird abgeschoben?
Aktuell leben in Dortmund etwa 1300 Menschen, die abgeschoben werden sollen. Hier geht es nicht um Menschen, die aus Ländern stammen, in denen Krieg herrscht oder in denen Gefahr für Gesundheit oder Leben droht – wie Afghanistan oder Iran. Die Tausenden Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Dortmund leben, fallen hier zum Beispiel nicht drunter. Es geht um Flüchtlinge beispielsweise aus Albanien, Serbien, Algerien, Marokko, Ghana oder Guinea – alles Länder, die als „sichere Herkunftsländer“ gelten.
Unter welchen Umständen dürfen diese Menschen bleiben?
Wenn medizinische Gründe die Abschiebung nicht möglich machen. Oder aber, wenn es minderjährige Kinder gibt, die sich gut integriert haben, in Dortmund zur Schule gehen – auch dann kommt es eher nicht zur Abschiebung. Auch dann nicht, wenn nicht geklärt werden kann, aus welchem Land der Betroffene stammt. Das ist vor allem bei Nordafrikanern ein Problem.

Wie viele Fälle bleiben denn übrig, in denen es zu einer Abschiebung kommen kann?
2024 war nur in rund jedem fünften der 1300 Fälle eine Abschiebung vorgesehen. Davon wiederum seien zwei Drittel gescheitert, sodass es lediglich zu 67 Abschiebungen gekommen sei, sagt die Stadt Dortmund. Bei etwa 75 Prozent dieser Personen habe es sich um Straftäter gehandelt.
Stand jetzt könnten 30 weitere Menschen theoretisch sofort abgeschoben werden, „alle anderen haben Duldungsgründe“, heißt es von der Stadt.
Wie entziehen sich ausreisepflichtige Menschen der Abschiebung?
Fast 90 Prozent aller Abschiebungen scheitern in Dortmund nach Informationen unserer Redaktion daran, weil die Ausländerbehörde Identität und Herkunftsland nicht ermitteln kann. Menschen sind ohne Pass eingereist oder haben ihn danach vernichtet und verweigern die Aussage. Hier sind die Behörden fast machtlos. „Vielleicht ließe sich die Identität klären, wenn wir die Ressourcen hätten, Betroffene drei Wochen lang zu beschatten. Aber dafür fehlt uns das Personal“, sagt ein Insider.
Wenn das Herkunftsland doch bekannt ist, passiere es auch, dass vor allem nordafrikanischen Staaten häufig die Menschen nicht wieder aufnehmen wollen.
Immer wieder versuchen ausreisepflichtige Menschen, ihre Abschiebung in letzter Minute zu verhindern. Es kommt vor, dass medizinische Notfälle wie epileptische Anfälle oder Herzinfarkte vorgetäuscht werden. In Einzelfällen passiert es, dass Ausreisepflichtige vor den Behördenmitarbeitern versuchen, sich selbst zu verletzen, in dem sie mit dem Kopf gegen die Wand oder den Türrahmen schlagen. Andere versuchen, vor den Beamten zu flüchten. 2021 war ein 35-jähriger Nigerianer in der Nordstadt aus Angst vor der Abschiebung aus dem vierten Stock seiner Wohnung gesprungen und hatte sich dabei die Zähne ausgeschlagen und mehrere Knochen gebrochen.
In Einzelfällen komme es auch zu missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen.
Wie erfolgreich sind diese Tricks?
Die Stadtmitarbeiter versuchen, sich auf solche Fälle vorzubereiten. „Wir kennen ja all diese Versuche – und in vielen Fällen können wir die Betroffenen auch gut einschätzen“, sagt ein Insider. So werden sie manchmal bereits von einem Arzt oder auch von der Polizei begleitet. „Wenn ein Ausreisepflichtiger im ersten Stock wohnt, sichern wir auch die Umgebung ab – für den Fall, dass er aus dem Fenster flüchtet.“ Schafft es tatsächlich jemand, sich selbst zu verletzen, gebe es in den meisten Fällen ein ausreichendes Zeitfenster, um denjenigen nach der Behandlung auf dem vorgesehenen Weg abzuschieben.
Vaterschaftsanerkennungen führen übrigens nicht dazu, dass jemand bleiben darf. Häufig melden sich Menschen, die manchmal seit Jahren illegal in Deutschland leben, bei den Behörden und geben an, nun Vater eines deutschen Kindes zu sein. Das Gesetz sehe vor, Betroffene in diesem Fall in ihr Land zurückzuschicken. Dort könnten sie dann bei der deutschen Botschaft ein Visum beantragen. „Es soll sich niemand durch eine Straftat – in dem Fall die illegale Einreise – einen Vorteil verschaffen können“, heißt es.
Gibt es für die Betreffenden eine Alternative zur Abschiebung per Flugzeug?
Ja, die freiwillige Ausreise. Die Ausländerbehörde der Stadt berät die Betreffenden auch in dieser Hinsicht. Doch wer Deutschland nicht freiwillig verlasse, dem drohe dann die Abschiebung.
Kann die jederzeit stattfinden?
Ja und nein. Die Betreffenden müssen damit rechnen, dass die Mitarbeiter der Ausländerbehörde und der Polizei bei ihnen klingeln und ihnen sagen: Bitte packen Sie jetzt ihre Sachen, sie bekommen ein kleines Handgeld, dann geht es zum Flughafen.
Allerdings: Die Flieger heben nicht an jedem Tag, in jeder Woche ab. Etwa zweimal pro Jahr gebe es „Sammelcharter“ des Landes NRW, mit denen Abschiebungen stattfinden.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 11. Dezember 2024.