
Zu Beginn der 1990er-Jahre ging eine Waschmaschinenmarke neue Wege: Auf Werbeplakaten sah man nicht mehr die entspannte Hausfrau, die damit beschäftigt war, ihrem Mann rechtzeitig die Hemden zu waschen – was ihr natürlich in der Werbung stets gelang –, sondern man bekam einen kräftig gebauten Mann mit nacktem Oberkörper zu sehen, der sich liebevoll über ein (wahrscheinlich: sein) Baby beugte, das auf der Waschmaschine lag.
Der „neue Mann“ und der „neue Vater“ hatten es zur Marketingfigur gebracht, die Zärtlichkeit und Kraftfülle ineinander vereinte, scheinbar Gegensätzliches fand zusammen. Die Väterforschung hatte schon in den 1980er-Jahren und früher nachgewiesen, dass Männer genauso feinfühlig auf Kinder eingehen wie Frauen. Nun sollten Väter diese Kompetenz Seite an Seite mit den Müttern unter Beweis stellen.
Dreißig Jahre später begegnen mir in meinem Zimmer kaum mehr Männer, die ihre Rolle als Vater darauf beschränken, die Familie mit Geld zu versorgen und im Gegenzug ihren Frauen die Haus- und Erziehungsarbeit alleine überlassen. Die Doppelbelastung von Familie und Beruf betrifft längst nicht nur Frauen, sondern auch Männer.
Hätte der Mann am liebsten die Frau am Herd?
Andererseits reduzieren immer noch meistens die Mütter dauerhaft ihre Erwerbsarbeit, sobald das erste Kind da ist, während das bei den Vätern in der Regel nur vorübergehend der Fall ist. Mit fortwährenden Veränderungen am Elterngeldgesetz und weiteren Instrumenten der Frauenförderung versucht die Politik an diesem Zustand etwas zu verändern, aber die statistischen Zahlen sprechen bisher weiterhin eine andere Sprache.
Laut Statista war im 4. Quartal 2023 die Teilzeitquote in Deutschland bei Frauen mehr als viermal höher als bei Männern. Schlägt also wieder einmal typisch patriarchales Denken zu? Hätte der Mann am liebsten die Frau am Herd?
Auffällig erscheint mir bei dieser Diskussion, dass mehr über Männer und ihre vermeintlichen Motive gesprochen wird, weniger aber mit ihnen. Wenn man wiederum mit ihnen redet, darf man nicht nur auf die vermeintlich sachlichen Motive hören, die regelmäßig auch zu lesen sind: Der Mann verdient mehr Geld, der Arbeitgeber zeigt kein Verständnis, die Frau stillt und kann deshalb erst einmal sowieso nicht arbeiten.
Irrationale Entscheidungen
Psychologen aller Couleur sind sich mittlerweile einig, dass Affekte bei Entscheidungen eine größere Rolle spielen, als uns und unserem Selbstbild lieb ist. Rationale Argumente dienen dabei eher dem Verdecken dieser Irrationalität als einer seriösen Untermauerung einer Entscheidung. Wir können also auch bei der Entscheidung darüber, wer wie viel erwerbstätig ist, getrost vom Zutreffen dieser Erkenntnis ausgehen.
Jeder Elternteil möchte für seine Kinder das Beste. Sie sollen behütet aufwachsen, viel Förderung erhalten, materiell gut ausgestattet werden. Der Soziologe Luc Boltanski hat einmal ausgemacht, dass Kinder heute elterliche Projekte sind, und Projekte sollen natürlich gelingen. Aber nicht nur Kinder sind Projekte. Partnerschaften sind es heute ebenfalls. Berufliche Laufbahnen sind Projekte. Oft ist also der ganze Lebenslauf ein Projekt, das gelingen soll. Projekte füllen eine ungewisse Zukunft mit einem konturierten Bild dieser Zukunft; sie geben Sicherheit, wo eigentlich alles unsicher ist.
Martens Geschichte
Der 35-jährige Marten (Name und Fallkonstellation verändert) kommt mit seiner etwa gleichaltrigen Frau Nadine zu mir. Sie haben ein sechs Monate altes Baby. Die Stimmung ist angespannt, sie klagt, er schweigt. Er hat nach der Geburt parallel mit seiner Frau zwei Elternzeitmonate genommen. Nun ist sie mit dem leicht reizbaren Säugling allein zu Hause, wenn er seiner leitenden Tätigkeit im Vertrieb nachkommt.
Marten hat mit seinem Arbeitgeber verhandelt, und der ist ihm entgegengekommen: Er kann drei Tage im Homeoffice arbeiten, um immer wieder einzuspringen, wenn seine Frau seine Unterstützung braucht. Allerdings hat das nicht für Entspannung gesorgt. Mehr und länger, als ihr lieb ist, sitzt er zu Hause im Arbeitszimmer, öfter, als ihm lieb ist, ruft sie ihn nach seiner Unterstützung. Sitzt er beim Arbeitgeber im Büro, kann er sich ebenfalls nicht gut konzentrieren.
Er weiß, dass seine Frau auf sich gestellt ist und dass er nicht präsent ist, er weiß aber auch, dass seine Performance im Büro nachgelassen hat und dass der Kontakt zu den Kollegen schlechter geworden ist. Vieles spielt sich ab, wenn er zu Hause im Homeoffice ist, ohne dass er dies mitbekommt. Ihm entgleiten sein Team und seine Arbeit. Zu Hause entgleiten ihm wiederum seine Beziehung mit seiner Frau und seine Position als Vater, denn seine Frau fragt sich, ob sich die Weiterführung der Ehe lohnt.
Gleich drei Projekte scheitern
Damit drohen gleich drei Projekte zu scheitern: das berufliche, das elterliche und das Beziehungsprojekt. Das Sicherheit stiftende Zukunftsbild beginnt zu zerfallen, die Zukunft wird wieder ungewiss. Marten sagt, er hätte ein schlechtes Gewissen. Er glaubt, niemandem gerecht zu werden, allen etwas schuldig zu bleiben: seinem Arbeitgeber, seiner Frau, seinem Kind. Schuld erzeugt Bindung, aber sie stellt auch Bindung infrage. Hinter Martens Schuldgefühl sitzt daher noch ein anderes Gefühl: Angst, die Bindungen zu verlieren, die für die Aufrechterhaltung der Projekte notwendig sind.
Menschen neigen dazu, diejenigen Bindungen besonders zu belasten, die sie für besonders sicher halten. Heftig pubertierende Teenager haben daher oft anders als intuitiv vermutet eine sehr sichere Bindung zu ihren Eltern. Männer neigen dazu, die Bindung zu ihren Partnerinnen für sicherer zu halten als diejenige zu ihrem Arbeitgeber.
Gleichzeitig finden sie sich noch immer in der traditionellen Rolle des Familienernährers wieder, die ein Versagen im Beruf als große Bedrohung und die Bindung an den Arbeitgeber besonders wichtig erscheinen lässt. Soziologische Daten bestätigen das: Ehen mit arbeitslosen Männern haben noch immer ein bedeutend höheres Trennungsrisiko gegenüber Ehen, in denen der Mann im Beruf ist (umgekehrt trifft dies bei Frauen kaum bis nicht zu, Nichterwerbstätigkeit der Frau hat sogar einen stabilisierenden Effekt).
Männer mögen daher bessere Gehaltsverhandler sein als Frauen, sie trauen sich aber weniger, sich im Beruf abzugrenzen, weil die Arbeitsbeziehung unsicher erscheint und eine Investition darin die Ehe vordergründig stabilisiert. Das aber lässt sich nicht mit dem Bild des „neuen Mannes“ vereinbaren, der zu Hause bei Frau und Kind ist.
Marten traut sich etwas Neues
Marten ist deshalb an dieser Stelle wie viele Männer seiner Generation bereits progressiv, indem er die Homeoffice-Regelung verhandelt hat, er grenzt sich aber dennoch stärker von den Forderungen seiner Frau ab – bis diese die Beziehung infrage stellt.
Marten traut sich dann etwas Neues: Er bittet seinen Arbeitgeber, für einige Monate Stunden zu reduzieren. Das hat natürlich seinen Preis: Das Familienbudget wird schmäler, der Einfluss im Büro könnte geringer werden, er muss seine Führungsposition klüger gestalten. Sein Arbeitgeber willigt ein, obwohl Marten ein Nein erwartete. Offensichtlich ist seinem Arbeitgeber mehr an ihm gelegen, als er glaubt. Die Verletzungen in der Partnerschaft sind damit nicht geheilt, aber der Rahmen für eine Heilung ist nun verbessert.
Es ist, wie so oft im Leben: Entschiedenheit belastet sowohl Arbeits- als auch Liebesbeziehungen weniger, als man(n) oft meint. Im Gegenteil, sie verbessert jede Bindung. Es sind Unentschiedenheit und Konfliktscheue, die einer Beziehung langfristig schaden.
Benedikt Bock (55) ist Diplom-Psychologe und Systemischer Therapeut mit Anerkennung durch die Systemische Gesellschaft (SG). Seit über 20 Jahren unterstützt er Paare und Einzelpersonen bei Problemen, die sich rund um die Themen Liebe und Beziehungen drehen. Dabei hat er entdeckt, dass Männer manchmal dankbar für einen eigenen geschützten Raum zum Reden sind. Näheres unter www.benedikt-bock.de.