
Schüler aus Syrien oder der Ukraine, aber auch aus Indien oder den USA – Dr. Dennis Draxler hat als Schulleiter mit allen zu tun. Sein Leibniz-Gymnasium am Rande des Kreuzviertels trägt den Beinamen „International School“.
Im Interview erklärt er, warum Eltern aus anderen Ländern deshalb beim Googeln oft an diesem Gymnasium hängenbleiben und was für einen schulischen Erfolg entscheidender ist als die Herkunft der Mädchen und Jungen.
Wie ist es aus Ihrer Sicht: Spielt im Schulalltag eine Rolle, woher die Schüler kommen? Ist es vielleicht sogar das Entscheidende?
Es ist nicht das Entscheidende, aber es spielt natürlich eine Rolle. Wir haben Schülerinnen und Schüler, die ganz anders aufgewachsen sind, die von zu Hause andere Abläufe, eine andere Rollenverteilung, andere Feste kennen. Natürlich haben sie dann andere Vorstellungen von der Welt und bringen das mit in den Unterricht und tauschen sich darüber aus. Was aber im Grunde genommen entscheidender ist als die Herkunft: Wie steht die Familie, aus der das Kind kommt, zur Schule, zur Bildung? Wie wichtig ist mir Schule? Wie viel Zeit, wie viel Energie können sich die Eltern nehmen für die Unterstützung ihres Kindes in der Schule?
Das bedeutet wahrscheinlich auch: Wie viel Wohnraum ist im Elternhaus, wie viel Unterstützungsfähigkeit, wie viel Engagement?
Vor allem: wie viel Unterstützung, wie viel Engagement? Bei „Wohnraum“ muss ich kurz an Corona zurückdenken. Da haben wir so etwas natürlich stärker gemerkt: Welches Kind hat zu Hause seinen eigenen Raum, sein eigenes Bett, seinen eigenen Platz zum Arbeiten. Ich glaube, das würden wir jetzt im Alltag wahrscheinlich gar nicht so sehr merken. Aber: Welche Unterstützung ist da? Das fängt bei Kleinigkeiten an: Interessieren sich die Eltern dafür, was die Kinder gemacht haben? Wie reagieren die Eltern darauf, wenn wir mal Kontakt aufnehmen und Gesprächsbedarf haben? Wie einfach ist es überhaupt, mit den Eltern Kontakt aufzunehmen?

Woher kommen Ihre Schüler und Eltern eigentlich?
Der Großteil unserer Schülerschaft ist eine ganz „normale Dortmunder Mischung“. Bei unserer Schule als „International School“ kommen noch Familien hinzu, die irgendwann wissen: Ich komme aus beruflichen Gründen nach Dortmund oder in die Nähe von Dortmund. Und ich melde mich – oft schon ein Jahr im Voraus – weil ich mein Kind am Leibniz unterbringen möchte. Arbeitgeber können große Firmen sein, auch Krankenhäuser oder Hochschulen. Diese Familien googeln dann in vielen Fällen. Nehmen wir zum Beispiel eine Familie aus Indien. Dort steht „International School“ in der Regel für eine Privatschule, auf die man seine Kinder schickt, wenn man es sich leisten kann. Deshalb landen diese Schülerinnen und Schüler dann häufig direkt bei uns – und die Eltern sind überrascht, was man in Deutschland an Bildung kostenlos bekommt.
Sie dürfen ja für solche Fälle leider keine große schwarze Kasse aufmachen…
(lacht) Nein, aber das Thema kommt immer wieder. Auch in Nordamerika gibt es Tuition Fees, also Schul- oder Studiengebühr. Wir sagen dann: Das gibt es nicht, aber wenn Sie Lust haben: Wir haben einen Förderverein, Mindestbeitrag im Jahr sind zwölf Euro. Vielleicht ist es manchmal gut, so eine Außenperspektive einzunehmen, um zu sehen, was wir hier eigentlich Gutes haben in Deutschland.
Ein wichtiger Faktor ist die Sprache. Sie sind eine bilinguale Schule. Ist deshalb für viele neuen Schüler das Ankommen leichter?
In der Regel sprechen die Kinder mehr oder weniger Englisch. Das hilft natürlich. Wir hatten zwischendurch auch Zeiten, als es verschiedene Flüchtlingsbewegungen gab, in denen Kinder ohne Englischkenntnisse hier ankamen. Aber wir haben mittlerweile sehr viel Erfahrung mit unseren internationalen Klassen, sodass die Kinder relativ schnell im Deutschen fit gemacht werden. Die Tatsache, dass wir in allen Klassen bilinguale Fächer haben, macht es den Kindern natürlich leichter, hier Fuß zu fassen. Dann ist man nicht nur in seiner Deutsch-Lerner-Gruppe, die altersmäßig sehr gemischt ist, weil sie rein nach den Deutschkenntnissen sortiert ist. Dann können Schülerinnen und Schüler relativ schnell auch in einer altersähnlichen Gruppe am Unterricht teilnehmen, wenn der auf Englisch stattfindet. Das macht natürlich die Integration einfacher.
Wie lange dauert das Ankommen, bis man sprachlich auf Flughöhe ist?
Wir haben dafür tatsächlich Vorgaben. Der Aufenthalt in den internationalen Klassen soll in der Regel zwei Jahre nicht überschreiten. Viel schneller ist es auch nicht möglich, weil es ja nicht reicht, nur lesen und sprechen zu können. Die Schülerinnen und Schüler müssen auch in der Lage sein, Klassenarbeiten auf Deutsch zu schreiben. Insofern ist das für die Kinder schon eine große Herausforderung.
Macht einen das als Schule oder auch als Lehrkräfte besonders stolz, wenn man sagt: „Okay, die haben wir jetzt tatsächlich das geschafft, diese Schüler zum Abitur zu bekommen“?
Ich habe gestern die Abiturzeugnisse unseres Jahrgangs unterschrieben. Da waren viele Namen, die ich wiedererkannt habe und von denen ich weiß: Die sind ja erst im Laufe ihrer Schulzeit irgendwann zu uns gekommen, sprachen kein Wort Deutsch – und jetzt haben sie es geschafft, ein wirklich ordentliches, teilweise hervorragendes Abiturzeugnis zu bekommen. Auch wenn sie aufgrund des Spracherwerbs teilweise ein Jahr älter sind als ihre Klassenkameradinnen und Klassenkameraden.
Bleiben denn alle Schüler bis zum Abitur oder gehen viele vorher schon wieder?
Meistens planen die Eltern das so, dass die Kinder nicht noch kurz vor dem Schulabschluss rausgerissen werden, sondern dass sie hier den Schulabschluss machen. Aber es gibt auch ganz seltene Fälle, da steht von Anfang an fest, dass die Familie nach einem Jahr wieder geht. Wir haben zum Beispiel einen Schüler, dessen Vater ein Forschungsstipendium hier in Dortmund für ein Jahr hat. In solchen Fällen gucken wir, dass die Kinder hier so gut wie möglich im Deutsch lernen, aber das Ziel ist es, dass sie in ihrer Altergruppe wieder mitmachen können, wenn es zurückgeht in das Herkunftsland. Aber viele Schülerinnen und Schüler, das ist mein Eindruck, würden auch gerne hier bleiben.