
Das neue Jahr ist nun schon einen Monat alt. Wünscht man nun jemandem ein frohes neues Jahr, wirkt es so, als sei man völlig aus der Zeit gefallen. Es ist so, als hätte man den Geburtstag eines guten Freundes vergessen und wünschte ihm nun einen Monat verspätet noch alles Gute zum neuen Lebensjahr. Ich freue mich meistens, wenn mir so ein verspäteter Wunsch zuteilwird, denn schließlich habe ich – einen vorzeitigen Tod ausgeschlossen – dann noch elf weitere Monate in dem betreffenden Lebensjahr vor mir.
Dass dieser Kolumnenartikel zum neuen Jahr so verspätet erscheint, hat schon etwas Symptomatisches an sich. Männer sind einfach oft später dran als Frauen. Bis in die Pubertät hinein und darüber hinaus reifen Jungen und Männer später als Mädchen und Frauen. Haben Frauen sich seit der Frauenrechtsbewegung viele zusätzliche gesellschaftliche Räume eröffnet, so habe ich den Eindruck, dass Männer gerade erst dabei sind, sich diese zu erschließen. Männer stehen daher eher nicht im Verdacht, zur gesellschaftlichen Avantgarde zu gehören.
Im medialen Mittelpunkt stehen derzeit Leitfiguren – ich nenne es einmal so – fossiler Männlichkeit: Donald Trump und Wladimir Putin nehmen sich einfach, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Andrew Tate hat es sich zur Mission gemacht, Männer zu „Alphamännern“ auszubilden, die selbstverständlich Zugriff auf die attraktivsten Frauen haben, die nur darauf warten, ihnen zu Füßen zu liegen. Halten diese Männer sich für die Avantgarde echter Männlichkeit und werden sie auch oft so gehandelt, so bilden sie zivilisatorisch eher die Speerspitze gesellschaftlichen Rückschritts oder zumindest des Stehen-Bleibens.
Verführerische Einfachheit
Sie sind verführerisch wegen ihrer Einfachheit und Eindeutigkeit, die vielen Männern abhandengekommen ist. Es sind Männer mit einer Mission, für die sie kämpfen. Darin kommt das alte Männermotiv des Kriegers wieder zum Vorschein. Wer Krieg führt, meint zu wissen, wer gut und wer böse ist, wer Freund und wer Feind. Aber ist es wirklich nur diese Einfachheit, die verführt?
Der Rückgriff auf alte Muster scheint eher auch Orientierung zu geben. Da es Männern in den widersprüchlichen Erwartungen, die im letzten Jahr in dieser Kolumne immer wieder Thema waren, noch nicht ausreichend gelungen ist, sich selbst ein positives Bild zu geben, fallen sie immer wieder in eindeutig erscheinende überkommene Muster zurück. Es hat nicht nur inhaltliche Gründe, dass unser Bundeskanzler Olaf Scholz zum Teil hämische Kritik für sein politisches Handeln kassiert. Er weigert sich eben auch, in das Muster des Kriegers zu fallen und damit diesen alten Männlichkeitserwartungen zu entsprechen. Für viele erscheint er damit nicht als archaisch männliche Leitfigur.
Leidensseite der Männlichkeit
Sollte er sich also an den oben genannten Männern ein Beispiel nehmen, und sei es nur ein bisschen? Vielleicht lohnt es sich, sich nicht nur die kraftvoll eindeutig zielgerichtete Seite der fossilen Männlichkeit anzusehen, sondern auch die Leidensseite. Wer sich dem alten Bild des Kriegers fügt, der darf nicht scheitern. Wer scheitert, ist dann kein Mann mehr, im Krieg ist er sogar tot. Die so eindeutig oder gar leidenschaftlich erscheinenden Missionen kaschieren die ständige Flucht nach vorne, die Flucht vor dem Scheitern und vor dem Tod. Es steckt also eine Vermeidung dahinter und nicht das Aufsuchen eines ehrwürdigen Zieles. Soll man(n) sich daran orientieren?
Ich wünsche mir, dass Männer dies nicht tun. Als Therapeut, der sich viel mit Beziehungen beschäftigt, wünsche ich mir, dass Männer Ziele in ihren Beziehungen verfolgen, weil sie darin einen echten Sinn sehen, sich dabei aber erlauben, einmal zu scheitern, ohne sich selbst infrage zu stellen. Ein Mann, der scheitern kann, zeigt am Ende mehr Standfestigkeit als einer, der vor dem Scheitern wegläuft.
Benedikt Bock (55) ist Diplom-Psychologe und Systemischer Therapeut mit Anerkennung durch die Systemische Gesellschaft (SG) und eigener Praxis in Dortmund. Seit über 20 Jahren unterstützt er Paare und Einzelpersonen bei Problemen, die sich rund um die Themen Liebe und Beziehungen drehen. Dabei hat er entdeckt, dass Männer manchmal dankbar für einen eigenen geschützten Raum zum Reden sind. Näheres unter www.benedikt-bock.de.