
Warum heißt die Türkenstraße eigentlich Türkenstraße? Die Frage steht überhaupt nicht zur Debatte, doch ihre Beantwortung diente am Montagabend (6.02.) in der voll besetzten Aula der Liedbachschule als eine Art Notbremse. Ortsvorsteher Bernhard Albers (CDU) sah sich gezwungen, mit einer kleinen historischen Anekdote die erhitzten Gemüter zu kühlen. Das Radwegprojekt entlang der K28 bleibt umstritten. Die Diskussion darüber fängt jetzt erst an.

Landrat und Co. erläutern Planung
Hintergrund ist die Planung des Kreises Unna, der dem Projekt und dem Austausch darüber offenkundig große Bedeutung beimisst. Zur Versammlung in Billmerich kamen neben zahlreichen Bürgern und einigen Politikern aus dem Kreistag und dem Stadtrat Landrat Mario Löhr mit seinem Referenten und den Fachbereichsleitern jeweils für Planung und Straßenbau.
Wie die Kreisvertreter zur ursprünglichen Planung erläuterten, soll die ohnehin nötige Deckensanierung der Türkenstraße – eigentlich vorgesehen für 2025 – vorgezogen werden. Landesförderung würde die Kosten für den Kreishaushalt erheblich verringern und den Radwegausbau einschließen. Ob es nötig oder sinnvoll ist, an dieser Stelle in die Fahrradinfrastruktur zu investieren, darüber sind sich Bürger und Politiker nicht einig. Die CDU-Fraktion im Kreistag versucht bereits, den Verzicht auf die Maßnahme zu erwirken. Die Fraktionen der Grünen sowohl im Kreistag als auch im Unnaer Stadtrat sprechen sich weiterhin dafür aus.
Diese Strecke mit dem Rad, das bedeutet das Bewältigen einer erheblichen Steigung neben aktuell schnell fahrendem Verkehr. Eine gute Fahrradverbindung also? „Da fährt kein Mensch her“, argumentierte ein Billmericher Fahrradfahrer. Ein anderer zeigte sich ebenso überzeugt vom Gegenteil. Es sei konsequent, dort den vorhandenen Geh- und Radweg sicher auszubauen. Er beobachte selbst abends Radverkehr auf der Strecke.
Kosten
Die Baumaßnahme zur Erneuerung der Straßendecke, die laut Kreis Unna auf einem Sanierungskonzept basiert und dem Substanzerhalt dient, hätte den Kreis 1,2 Millionen Euro gekostet, indem er nur die Straße erneuert hätte. So war es zunächst geplant für 2025.
Doch man bewarb sich erfolgreich um Fördermittel des Landes, indem auch der Ausbau des Radwegs angemeldet wurde. Vor dem Hintergrund müsste der Bau in diesem Jahr angegangen werden. Das Projekt wurde dadurch in der Kostenschätzung insgesamt eine halbe Million Euro teurer, soll aktuell 1,7 Millionen Euro kosten. Aber den Löwenanteil würde das Land bezahlen. Der Eigenanteil des Kreises verringerte sich auf 400.000 Euro.
Geldverschwendung oder zukunftsweisend
Ist es Geldverschwendung? Müssen Kreistagspolitiker daran erinnert werden, verantwortungsvoll mit Steuergeldern umzugehen, wie Kritiker vortrugen? Oder handelt es sich hier vielmehr um einen „Radweg, der uns in die Zukunft führt“, wie Simone Hackenberg leidenschaftlich erklärte? Die Vorsitzende des städtischen Umwelt- und Klimaschutzausschusses erinnerte daran, dass der Ausbau der Radinfrastruktur dem Ziel diene, die Verkehrswende zu erreichen. Sie versuchte, die hier zur Diskussion stehenden Kosten ins Verhältnis zu setzen – durch den Vergleich mit einem Projekt zur Förderung des Auto- und Lkw-Verkehrs: Nach aktuellem Planungsstand lägen die auf den Radweg entfallenden Kosten für den Kreis Unna bei 150.000 Euro. Der Ausbau des Autobahnkreuzes Dortmund/Unna hingegen soll 268 Millionen Euro kosten. „Und dafür machen wir keine Bürgerversammlung“, so Hackenberg.
Bornekamp mancher Frau zu gefährlich
Als Alternative zur Türkenstraße wird der Weg durch den Bornekamp angeführt, der schon jetzt eine viel genutzte Fahrradstrecke ist. Aber ist dieser für alle eine gute Alternative? Hackenberg lud wie einige andere Frauen bei der Versammlung zu einer anderen Perspektive ein: Besonders Frauen erscheint die Radroute durch den bewaldeten und nicht besiedelten Bornekamp nicht sicher. Ein Billmericher berichtete, er habe seine Kinder nie allein diesen Weg fahren lassen.
Dies spräche für den Ausbau an der Türkenstraße, um dort den Radverkehr zu stärken. Trotz der Steigung? Vielleicht ja: Werner Wülfing (ADFC) erinnerte daran, dass immer mehr E-Räder genutzt werden, die selbst den Ostenberg bequem bewältigen helfen.
Offene Fragen an der Hertingerstraße
Gegen das Projekt Türkenstraße wiederum könnte die noch offene Frage sprechen, wie und wann der Radwegausbau im Norden weitergeht. Nördlich der neu gebauten Autobahnbrücke ist die Situation an der Hertingerstraße wegen der Straßenbäume und wegen fehlenden Grunderwerbs schwierig. Und ab der B1 ist nicht mehr der Kreis Unna zuständig, sondern die Stadt. Einen Radweg komfortabel auszubauen, dann aber abrupt und ohne Perspektive enden zu lassen, nannten Kritiker „Flickwerk“ und „konzeptlos“. Befürworter wiederum erklärten, irgendwo müsse ja auch angefangen werden mit dem Ausbau.
Davon, was man im Unnaer Rathaus plant, wie und wann es umgesetzt werden könnte, hängt jetzt ab, wie es weitergeht mit der Türkenstraße. Landrat Mario Löhr (SPD) kündigte am Montagabend in Billmerich an, als nächstes das Gespräch mit Bürgermeister Dirk Wigant (CDU) zu suchen. Es geht um die städtischen Planungen zur Hertingerstraße. Löhr will aber auch anregen, dass sich die Stadt Unna um Verbesserungen im Bornekamp bemüht. Können Wege instandgesetzt werden? Ließe sich durch mehr Beleuchtung das Sicherheitsgefühl verbessern?

Kreis stellt Projekt infrage
Das Projekt Türkenstraße wird aufgrund der öffentlichen Kritik inzwischen auch vom Kreis Unna infrage gestellt. Landrat Löhr betonte, er wolle die Meinungen aus der Bürgerschaft mitnehmen und „nichts gegen den Bürgerwillen“ bauen. So wurde unter anderem auch vorgeschlagen, die Ausbauplanung anzupassen mit Blick auf Straßenbreiten und geltende Tempolimits. Unnas Grünen-Fraktionschefin Claudia Keuchel warf die Idee ein, das Maximaltempo auf der Türkenstraße von 100 auf 70 Stundenkilometer zu drosseln.
Löhr will das Thema erneut von der Kreispolitik beraten lassen. Zuvor aber wolle er noch einmal nach Billmerich kommen, um sich mit den Bürgern auszutauschen. Und davor wiederum will Löhr sich mit Unnas Bürgermeister abgestimmt haben. Der Landrat ist offenbar zuversichtlich, dies bis Anfang März zu schaffen. Er versprach in der Liedbachschule: „In vier Wochen sind wir wieder hier. Dann haben wir Ergebnisse.“
Straße erinnert an eine Tür
Die Versammlung, die Ortsvorsteher Albers initiiert hatte, trug tatsächlich zur Erhellung bei. Unter den Gegnern ebenso wie den Befürwortern des Radwegprojekts waren einige, die nun Fakten und die jeweiligen Gegenargumente akzeptieren, wie sie am Rande des Infoabends dankbar bestätigten.
An dieser Stelle soll natürlich auch der Ursprung des Straßennamens Türkenstraße nicht im Dunkeln bleiben. Er geht nicht auf Menschen mit türkischen Wurzeln zurück, sondern auf eine Mundart-Variante des Wortes „Türchen“. Im Bereich dieser Straße zwischen Unna und Billmerich gab es in früheren Zeiten eine Tür, verniedlicht und niederdeutsch sprach man von einem „Dörken“, woraus dann das „Türken“ wurde.