Wer psychisch krank ist, braucht dringend Hilfe. Depressiven fällt es aber oft schwer, sich aufzuraffen, Probleme anzugehen und professionelle Hilfe zu suchen. Schaffen sie es doch, stehen sie vor einem Problem: Es gibt keinen Termin beim Psychotherapeuten – die Wartezeiten sind schier endlos. Auch in Unna.
„Es ist eine Sackgasse“, weiß Marina Schmidt, deren Namen wir aus Diskretion geändert haben. Seit mehren Jahren leidet sie unter Depressionen und Angststörungen, professionelle Unterstützung findet sie nicht. „Man bekommt niemanden ans Telefon“, sagt sie.
Anrufbeantworter statt Hilfe
Von ihrer Krankenkasse habe Schmidt eine Liste mit psychologischen Psychotherapeuten bekommen. Diese ist eine DIN-A4-Seite lang, mit Praxen von Unna bis Hamm. Sechs Therapeuten versucht Schmidt mehrmals anzurufen, überall meldet sich nur der Anrufbeantworter. Die meisten Therapeuten seien nur morgens erreichbar: „Das ist eine Zeit, zu der Depressive nicht gerade im Leben stehen“, sagt sie.
Dennoch gibt sie nicht auf: Als eine Psychotherapeutin den Hörer abnimmt, keimt Hoffnung auf. Schnell folgt aber die Ernüchterung: Die Psychotherapeutin sei in diesem Quartal schon belegt, Schmidt solle sich im nächsten Quartal noch einmal melden. So geht das ein dreiviertel Jahr lang. Dann gibt Schmidt die Hoffnung auf: „Ich suche Hilfe. Das ist aber keine Hilfe“, sagt sie.
Nachfrage höher als Angebot
Dass es zu wenig psychologische Psychotherapeuten gibt und diese wiederum randvoll ausgebucht sind, ist nicht nur eine subjektive Empfindung von Schmidt, sondern eine Tatsache, die viele Betroffene derzeit erleben müssten, weiß Gerd Höhner von der Psychotherapeutenkammer NRW: „Die Wartezeiten sind vielerorts über zehn bis zwölf Wochen lang“, sagt er. In Unna gibt es Fälle, in denen Patienten ein halbes Jahr und länger warten. Generell sei laut Höhner die Nachfrage nach psychotherapeutischen Leistungen deutlich größer als das Angebot.
Und das, obwohl der Kreis Unna statistisch gesehen sogar als überversorgt gilt. Dem zugrunde liegt die sogenannte „Bedarfsplanung“. Diese regelt, wie viele Ärzte für eine Stadt, einen Kreis oder eine Region benötigt werden. „Stimmt die Relation von Arzt und Patienten in einer Region mit der gesetzlichen Vorgabe überein, beträgt der Versorgungsgrad genau 100 Prozent“, erklärt Jana Elbert von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Im Kreis Unna betrage der psychotherapeutische Versorgungsgrad im Moment 124,3 Prozent. Das bedeutet auch, dass sich keine weiteren psychologischen Therapeuten niederlassen dürfen – obwohl das für Betroffene wie Marina Schmidt so dringend nötig wäre.
Neue Bedarfs-Richtlinie ab Januar 2020
Abhilfe soll demnächst eine angepasste Bedarfsplan-Richtline schaffen, die für den Bereich Westfalen-Lippe voraussichtlich zum 1. Januar 2020 in Kraft tritt. Diese soll das Verhältnis von Angebot und Nachfrage an psychotherapeutischer Versorgung realistischer widerspiegeln. Inwiefern die neue Richtlinie aber eine tatsächliche Verbesserung der Patientenversorgung ermöglicht, sei laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhersehbar.
Infos für Betroffene
- In Selbsthilfegruppen treffen sich Menschen, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden. Ihr Anliegen ist es, sich selbst und anderen im persönlichen Austausch zu unterstützen und die Lebensumstände zu verbessern.
- Die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen, kurz K.I.S.S., unterstützt rund 260 Selbsthilfegruppen im Kreis Unna und berät alle, die ihre Sache selbst in die Hand nehmen wollen
- Kontakt und weitere Informationen gibt es bei Simone Saarbeck unter Tel.: 02303/272829 oder per Mail an: simone.saarbeck@kreis-unna.de
Diese Aussagen sind für Schmidt nicht verlässlich genug. Sie ist deshalb einer Selbsthilfegruppe in Unna beigetreten, in der sie sich alle zwei Wochen mit anderen Betroffenen zum Austausch trifft. Außerdem hat sie sich einen Hund angeschafft. „Ohne ihn wäre an manchen Tagen bereits die Welt für mich untergegangen“, sagt sie. Denn feste Termine und Aufgaben helfen ihr, den Tag zu strukturieren und aus dem Bett zu kommen. Der Austausch mit Gleichgesinnten sei darüber hinaus bereits eine Art Therapie: „Das verändert den Blickwinkel auf meine Krankheit“, sagt sie.
Dennoch ersetzen weder Hund noch Selbsthilfegruppe einen Fachmann, dessen professionelle Unterstützung Schmidt sich weiterhin wünscht. Auch wenn ihre Hoffnung langsam schwindet: „Ich krieg‘ doch sowieso keine Antwort.“
Geboren 1992 mitten im Ruhrgebiet (Bottrop) und aufgewachsen am Rande des Münsterlandes (Dorsten), hat es sie zum Studieren nach Bielefeld verschlagen (die Stadt gibt es wirklich ;-)). Nach beruflichen Zwischenstationen in Braunschweig, Berlin und Aachen ist sie froh, wieder zurück im Pott zu sein und Geschichten für Unna zu schreiben. Wenn sie nicht journalistisch unterwegs ist, hört sie gerne Musik, wandert im Grünen oder faulenzt mit einem guten Buch im Café.
