
Als die Soldaten der Roten Armee am 27. Januar 1945 die polnische Stadt Oświęcim erreichten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens: Menschen, die mehr tot als lebendig wirkten, blickten voller Angst durch den Stacheldraht auf die Soldaten – es waren Gefangene des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Die Befreiung durch die Rote Armee machte diese Menschen zu Überlebenden eines der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte: dem Holocaust.
Seit 1996 dient dieser Tag der Befreiung dem Gedenken an den Holocaust und seine Opfer. Und so findet auch in diesem Jahr eine Gedenkfeier in Unna statt. Für Samstag (27. Januar) ab 11 Uhr lädt die Stadt in das Rathaus zur Gedenkfeier ein, die in diesem Jahr von Schülerinnen und Schülern der Werner-von-Siemens-Gesamtschule mitgestaltet wurde. Im Anschluss erfolgt die Kranzniederlegung am Friedensstein in der Bürgerhalle des Rathauses.
Gedenken an die NS-Verbrechen scheint wichtiger, denn je
Das Gedenken an die NS-Verbrechen ist für viele Menschen in diesem Jahr besonders wichtig. Denn vor wenigen Wochen veröffentlichte das Recherchekollektiv „Correctiv“ die Abschiebepläne von Rechtsradikalen für Migranten und Migrantinnen in Deutschland. Diese wurden ausgerechnet unweit des Ortes geschmiedet, an dem 1942 auch schon die Vernichtung der Juden beschlossen wurde.
Auch der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel hat Spuren in der jüdischen Gemeinschaft in Unna hinterlassen. Alexandra Khariakova, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde „haKochaw“ für den Kreis Unna, berichtete unserer Redaktion, wie Gemeindemitglieder Ängste entwickelt hätten und weniger Menschen die Synagoge besuchten – trotz verstärkter Sicherheitsvorkehrungen an der Synagoge.
„Jüdische Menschen drehen sich wieder um, wenn sie in ihre Häuser gehen“
Diese Sorgen spiegeln sich nicht nur in der Synagoge wider, auch bei der letzten Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht herrschten verstärkte Sicherheitsvorkehrungen – die Veranstaltung stand unter Polizeischutz. Wie Stadtsprecher Kevin Kohues berichtete, habe Sicherheit bei der Planung eine große Rolle gespielt.
Auch weil es wichtig sei, die Sorgen der jüdischen Mitbürger ernst zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass sie in Unna sicher seien. „Jüdische Menschen drehen sich wieder um, wenn sie in ihre Häuser gehen“, berichtete der stellvertretende Landrat Martin Wiggermann von den Sorgen seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Jüdisches Leben in Unna gibt es schon seit dem 11. Jahrhundert
Dabei kann die jüdische Gemeinde in Unna auf eine lange Geschichte zurückblicken – bereits im 11. Jahrhundert existierte jüdisches Leben in Unna. Ab 1885 etablierte sich eine eigene Synagogengemeinde in der Stadt. Doch wie in ganz Deutschland führten die Schrecken des Nationalsozialismus dazu, dass im November 1938 die Synagoge angezündet wurde und die Stadt 1942 als „judenfrei“ galt. Noch immer erinnern zahlreiche „Stolpersteine“ an Juden und Jüdinnen, die vor dem Holocaust in Unna gelebt haben.

Erst 70 Jahre später, nach dem Zerfall der Sowjetunion, erlebte die Hellwegregion wieder ein florierendes jüdisches Leben. Sogenannte „Kontingentflüchtlinge“, die in ihrer Heimat diskriminiert wurden, fanden auch in Unna eine neue Heimat. Sie trugen maßgeblich zur Gründung der jüdischen Gemeinde haKochaw bei. Am 13. Mai 2007 fand in dem ehemaligen „Israelitischen Altenheim“ – dem heutigen Altenheim St. Bonifatius an der Mühlenstraße 7 – eine Vollversammlung der Juden des Kreises Unna statt. Hier wurde beschlossen, eine liberale jüdische Gemeinde für den Kreis Unna zu gründen.
Es dauerte noch einige Jahre, bis der Gemeinde auch ein angemessenes Gebäude zur Verfügung stand. Seit dem 4. Juli 2019 ist die Synagoge in Unna-Massen das Zuhause der Jüdischen Gemeinde haKochaw und der Mittelpunkt des Gemeindelebens. Nach einer längeren Umbauzeit konnte die jüdische Gemeinde in die Räumlichkeiten der ehemaligen evangelischen Kirche in Unna-Massen ziehen, die sie zuvor schon angemietet hatte und die nun in ihren Besitz übergegangen ist. 74 Jahre nach dem Ende des Holocausts bekam jüdisches Leben in Unna damit wieder eine Heimat.
Rund sechs Millionen Juden und Jüdinnen sind der Gewalt der Nazis und ihrer Helfer zum Opfer gefallen, allein in Auschwitz starben über eine Million Menschen durch die Gaskammern, an Erschöpfung, Hunger oder der puren Gewalt. Allein in Unna sind 120 Juden und Jüdinnen den Verbrechen der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen.