
Menschen mit Behinderungen gelten als schwer vermittelbar auf dem Arbeitsmarkt. Ein Fall aus Unna zeigt jedoch: Auch Unternehmen können gewinnen, wenn sie jemandem mit einem Handicap eine Chance geben. Das gute Beispiel heißt Carolin Beckschäfer. Sie verstärkt als Bürokauffrau ein junges Unternehmen. Und das hätte ihr früher niemand zugetraut.
32-Jährige lebt im Rollstuhl
Carolin Beckschäfer ist 32 und sitzt im Rollstuhl. Sie lebt schon immer mit ihrer Behinderung, deren Ursprung ihre sehr frühe Geburt war, verbunden mit Komplikationen. Ihr Weg schien vorgegeben. Nach zehn Jahren an einer Förderschule hieß es, sie werde wohl nie einen Schulabschluss machen. „Mir wurde immer gesagt, ich würde irgendwann in einer Behindertenwerkstatt arbeiten, wenn überhaupt“, erinnert sich die Bönenerin.
Doch sie akzeptierte das nicht. Bei einem Berufsbildungswerk machte sie ihren Hauptschulabschluss. Dann legte sie den Realschulabschluss nach. „In irgendwelchen Fakefirmen“ wollte sie nicht arbeiten, wie sie sich erinnert, also lernte sie weiter. 2015 schließlich schloss Carolin Beckschäfer ihre Ausbildung zur Bürokauffrau ab. „Wenn ich könnte, würde ich heute immer noch tanzen vor Freude“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.

Carolin Beckschäfer ergriff Chancen, um sich weiterzuentwickeln. Und kürzlich erhielt sie eine weitere. Die behinderte Frau, der man einst kaum eine sinnvolle Tätigkeit zugestanden hätte, ist jetzt Mitarbeiterin in einem Unternehmen in Unna. Auf dem Weg in die Eigenständigkeit: Das ist nicht nur für sie selbst ein großartiger Schritt, wie der Frau deutlich anzumerken ist. Ihr Arbeitgeber ist auch überzeugt, eine gute Personalentscheidung getroffen zu haben. „Sie ist eine Super-Unterstützung“, sagt Mark Oberstadt.
Assistenzdienst für Behinderte in allen Lebenslagen
Er ist Geschäftsführer der „Assistenten im Alltag“, die vor drei Jahren in Unna an den Start gegangen sind. Das Unternehmen mit 43 Mitarbeitern unterstützt Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, damit diese ein selbstbestimmtes Leben führen können. Möchte zum Beispiel eine behinderte Person von einer Einrichtung in eine eigene Wohnung umziehen, kann der Assistenzdienst dabei helfen. Es gibt Assistenz bei der Arbeit, im Alltag, in Kita und Schule und in der Freizeit.
Hier muss viel individuell abgesprochen werden. Es geht auch um Anträge, etwa beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Kostenträger. Und Chef Mark Oberstadt profitiert von Bürokraft Carolin Beckschäfer in mehrerlei Hinsicht. Vieles, was ihm Kunden aus ihrem Alltag schildern, könne er selbst nur schwer nachempfinden. Ein Mensch, der selbst eine Behinderung hat, kann das. „Carolin bringt Erfahrungen mit, die für uns sehr hilfreich sind.“ Beckschäfer kommuniziert in ihren 20 Stunden pro Woche mit Kunden, koordiniert Termine und entlastet Oberstadt von Bürotätigkeiten. „Ich kenne mich zum Beispiel überhaupt nicht mit Excel-Tabellen aus. Sie schon“, sagt der Chef.

Es gebe viele Vorurteile gegenüber Behinderten als möglichen Mitarbeitern, so Oberstadt. Diese Menschen von vornherein abzulehnen, sei aber „Quatsch“. Natürlich könne es Probleme geben, je nach dem, welche Fähigkeiten ein Mensch hat und welche Anforderungen der Arbeitsplatz mit sich bringt. „Aber es gibt auch Lösungen“, sagt Oberstadt. „Als Arbeitgeber muss man vor allem erst einmal an einen Menschen glauben.“
Jobcenter hilft bei der Eingliederung
Bei der Suche nach Lösungen kann zum Beispiel das Jobcenter helfen, wie es auch in diesem Fall geschehen ist. Das Jobcenter hat eine Organisationseinheit, die sich speziell um die schwerbehinderten Menschen unter seinen Kunden kümmert. Erwerbstätigkeit sei ein wichtiger Bestandteil von Teilhabe an der Gesellschaft. „Und wir möchten Arbeitgebern helfen, Fachkräfte zu bekommen“, sagt Bereichsleiter Roland Froch.
Es gibt verschiedene Maßnahmen, um einer Person mit Handicap den Einstieg in einen Beruf zu erleichtern. Über das Jobcenter kann eine Art längeres Praktikum vereinbart werden. Auch mehrmonatige Probebeschäftigungen, die das Jobcenter finanziert, sind möglich, gegebenenfalls auch ein Eingliederungszuschuss. „Es gibt Tätigkeiten, für die eine Behinderung keine Rolle spielt“, sagt Froch. Er wolle auch anderen Arbeitgebern Mut machen, Menschen mit Behinderungen eine Chance zu geben und sich für eine Beratung an das Jobcenter zu wenden.
Jobcenter hat eine Kundin verloren
Carolin Beckschäfer hat das Jobcenter als „Kundin“ nun verloren. Zwischen ihr und ihrem neuen Arbeitgeber stimmt die „Chemie“ spürbar. Und schon kurze Zeit nach ihrer Einstellung hat sich gezeigt, dass vermeintliche Probleme zu Chancen werden können. Die Arbeit ist für die junge Frau auch mit körperlicher Anstrengung verbunden, unter anderem wegen der kleinen Treppe, über die die Büroräume betreten werden müssen. „Das ist Training für mich“, sagt die 32-Jährige. Der Effekt sei schon eingetreten. Schmerzmittel, die zu ihrem Leben im Rollstuhl dazu gehören, brauche sie bereits deutlich seltener als früher.