Wie Björn Höcke in Thüringen Wahlkampf macht Besuch bei einem AfD-„Familienfest“

Björn Höcke (AfD), Landesfraktions- und Parteivorsitzender sowie Spitzenkandidat seiner Partei, spricht beim Wahlkampf AfD Thüringen auf dem Marktplatz.
Am 1. September 2024 wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Björn Höcke (AfD), Landesfraktions- und Parteivorsitzender sowie Spitzenkandidat seiner Partei sieht sich schon als Ministerpräsident. © picture alliance/dpa
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Heute ist mal was los in Schleiz, sagt die Wirtin im Café am Neumarkt. „Heute kommt der Höcke.“ Vor ihrer Tür hat die AfD eine Bühne aufgebaut, einen Bier- und Bratwurststand, ein paar Tische und Bänke und einen Pavillon der „Jungen Alternative“. Das ganze heißt „Familienfest“ und ist doch nur eine klassische Wahlkampfveranstaltung. Rund 300 Leute sind in die 8000-Einwohner-Stadt in Südthüringen gekommen, um Höcke zu hören. Es sind ein, zwei Familien darunter, einige mittelalte Paare und viele Männer, teils stark tätowiert und in Kleidung, die von Rechtsradikalen gerne getragen wird. Ein Mann hält ein Banner, auf dem „Freies Thüringen“ steht. Die Gruppierung ist so etwas wie das Scharnier zwischen der Parlamentspartei AfD und dem Vorfeld von Rechtsextremen und „Reichsbürgern“ auf der Straße.

Ganz in der Nähe von Schleiz, auf dem „Jagdschloss Waidmannsheil“ in Bad Lobenstein, heckte die „Reichsbürger“-Putschtruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß ihre Pläne aus. Auch auf dem Schleizer Neumarkt halten mehrere Höcke-Zuhörer umgedrehte Deutschlandflaggen hoch, ein Erkennungszeichen derer, die die Bundesrepublik ablehnen und ihr absprechen, ein souveräner Staat zu sein.

Dabei wollte sich die im Freistaat vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte Höcke-AfD in diesem Wahlkampf doch eigentlich anders präsentieren: regierungswillig und -fähig. Der Höcke auf den Wahlplakaten lächelt freundlich, unter ihm steht „Ministerpräsident“. Auf seiner Wahlkampf-Homepage ist er mit AfD-blau verspiegelter Pilotenbrille zu sehen, als würde der frühere Geschichtslehrer gleich persönlich den „Abschiebeflieger“ vom Flughafen Erfurt starten. „Feel-Good-Rechtsextremismus“ nennt der Politikberater Johannes Hillje die gewünschte Ausstrahlung dieses auf cool getrimmten Plakate-Höcke.

Höcke tut sich schwer

„Der Osten macht‘s“ steht in Schleiz groß auf der Bühnenrückwand – von Thüringen, Sachsen und Brandenburg aus soll der Weg der AfD in Regierungsverantwortung beginnen. Und als strahlender Wahlsieger könnte Höcke auch der Gesamtpartei endgültig seinen Stempel aufdrücken.

Aber so glattläuft es in diesem Sommer nicht, auch wenn die AfD-Veranstaltungen gut bis sehr gut besucht sind. Der echte Höcke in Schleiz wirkt in der heißen Wahlkampfphase weit weniger glamourös als seine Plakate. In hellem Hemd und ohne Pilotenbrille tritt er nach drei Vorrednern auf die Bühne. Das Publikum begrüßt ihn mit „Höcke, Höcke“-Rufen. Wie anderswo auf den „Familienfesten“ hält der 52-Jährige auch in Schleiz ein fast einstündiges Wahlkampf-Referat. Höcke mag der gefürchtetste Rhetoriker der AfD sein, auf dieser Tour zeigt er wenig davon. Er spricht milde beklatscht über Wirtschaft, Renten und den Krieg in der Ukraine. Jubel brandet nur zwei Mal auf. Einmal, als er verspricht, unter der AfD würden die „Regenbogenflaggen vor den Thüringer Schulen eingeholt“. Und einmal, als er ankündigt, die AfD werde sich „mit Händen und Füßen gegen die weitere Aufnahme illegaler Migranten“ wehren.

Sahra Wagenknechts BSW als neuer Hauptgegner

Kaum Applaus hingegen gibt es vom AfD-Publikum für Höckes Schilderung seiner beiden Prozesse in Halle wegen der Verwendung einer SA-Parole, die ihm zusammen eine Geldstrafe von fast 30.000 Euro eingebracht haben. Vor Gericht fiel Höcke vor allem durch larmoyantes Verhalten und Attacken gegen den Staatsanwalt auf, zum Wahlkampfauftakt hatte er die Prozesse sogar eine „Diktaturerfahrung“ genannt. Doch die Opfererzählung zieht im Wahlkampf nicht wie erwartet.

Ohnehin wirkt es in Schleiz nicht so, als glaube Höcke noch an den Überraschungssieg, der ihn auch ohne Koalitionspartner zum Ministerpräsidenten machen würde. Im Frühjahr stand die AfD in einer Umfrage im Land mal bei 36 Prozent, da schien sogar die absolute Mehrheit in Reichweite. Nun liegen die Rechtsextremen mit um die 30 Prozent immer noch vor allen anderen, doch auch das BSW wird aus dem Stand bereits bei knapp 20 Prozent gehandelt. Höckes Truppe tut sich schwer mit der neuen Konkurrenz und hat sie neben den „Kartellparteien“ zum Hauptgegner erklärt. Das BSW sei eine „Kaderpartei“, sagt Höcke in Schleiz, deren Mitglieder vor allem „schnell an die Mandate und die Pfründe kommen wollen“.

Für seine Kritiker hat Höcke „jede Bodenhaftung verloren“.

Ironischerweise sind es ganz ähnliche Vorwürfe, die in der Thüringer AfD gegen Höcke laut geworden sind. Man dürfe sich die Partei „von Egozentrikern wie Björn Höcke nicht kaputt machen lassen“, schrieb der Bundestagsabgeordnete Klaus Stöber aus dem Wartburgkreis vor einigen Wochen auf Facebook. Hintergrund war ein Streit um Direktkandidaturen. Der Landesvorstand hatte massiv versucht, für Höcke und seine engsten Vertrauten Plätze in vermeintlich sicheren Wahlkreisen zu sichern. Denn falls die AfD viele Wahlkreise direkt gewinnt, könnten Kandidaten auf der Landesliste das Nachsehen haben. Höcke selbst tritt nicht im Eichsfeld an, wo er wohnt, sondern in Greiz – dort sind seine Chancen besser.

Im Wartburgkreis aber tritt die AfD in zwei Wahlkreisen ganz ohne Direktkandidaten an, nachdem sich die lokalen Parteikader geweigert hatten, die Höcke-Vertrauten auf die Liste zu wählen. Der Landesvorstand wiederum verweigerte den lokalen Favoriten schlicht die Unterschrift. Für Kritiker wie Stöber hat Höcke dadurch „jede Bodenhaftung verloren“.

Ein Polizist steht bei einer Linken-Demonstration gegen eine Wahlkampfveranstaltung der AfD Thüringen auf dem Marktplatz.
Ein Polizist steht bei einer Linken-Demonstration gegen eine Wahlkampfveranstaltung der AfD Thüringen auf dem Marktplatz.© picture alliance/dpa

Auch in der Bundes-AfD gibt es nicht wenige, die Höcke ein eher mäßiges Ergebnis bei der Landtagswahl wünschen. Höcke würde auf seine Thüringer Rolle zurechtgestutzt und könnte dem gerade wiedergewählten Spitzenduo Alice Weidel und Tino Chrupalla nicht dazwischenfunken. Bereits beim AfD-Bundesparteitag in Essen Ende Juni meldete sich Höcke entgegen seiner Gewohnheit nur ein einziges Mal zu Wort – um für eine Kandidatin zu werben, die dann auch noch durchfiel. Und auch die Rolle als Galionsfigur des extrem rechten Flügels der Partei muss er sich neuerdings mit dem Sachsen Maximilian Krah teilen.

Die Gegendemo wird von Polizeiautos verdeckt

Auf der anderen Seite des Schleizer Neumarkts, halb verdeckt von drei Kleinbussen der Polizei, hat das Bündnis „Dorfliebe für alle“ zwei Mauern aus Umzugskartons aufgebaut. Auf der einen stehen die Grundrechts-Artikel des Grundgesetzes, auf der anderen sind ausgrenzende Aussagen von Höcke und anderen AfD-Politikern aufgedruckt. Rund 50 Gegendemonstrierende, unterstützt von den „Omas gegen Rechts“ und Gewerkschaftsvertretern aus Erfurt, pfeifen und skandieren gegen die Höcke-Rede an.

Das Bündnis „Dorfliebe für alle“ hat sich im Januar gegründet, als hier im Saale-Orla-Kreis der Landrat neu gewählt wurde und der AfD-Vertreter Uwe Thrum gegen den CDU-Kandidaten Christian Herrgott in der Stichwahl stand. Herrgott gewann – und kündigte sofort eine Arbeitspflicht für Asylbewerber an. Nun will Thrum sein Direktmandat verteidigen, aber die „Dorfliebe“-Aktiven versuchen diesmal nicht, das durch taktische Wahlaufrufe für die CDU zu verhindern. Das Bündnis veranstaltet jetzt Wandertreffen für Frauen und Kinder und ein Parkfest für Kinder und Senioren.

Demonstranten protestieren gegen das Sommerfest der AfD Thüringen.
Demonstranten protestieren gegen das Sommerfest der AfD Thüringen. Am 1. September 2024 wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt.© picture alliance/dpa

Eine Windböe wirft die Grundrechte um

Bettina Reinisch von „Dorfliebe für alle“ nennt das „Arbeit im vorpolitischen Raum“, eine Arbeit gegen das Verstummen anderer Stimmen durch die Dominanz der AfD in der Region. „Wir wollen der Sprachlosigkeit und Vereinzelung entgegenwirken“, sagt die Kulturvermittlerin.

Dann stürzt sie los: Eine Windböe hat die Kartonwand mit den Grundrechtsartikeln umgeworfen. Bettina Reinisch stellt sie wieder auf – und lacht darüber, was für ein symbolisches Bild das ist, in diesem Wahlkampfsommer in Thüringen.

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