
Ob besonders scharf, schlichtweg eklig oder sehr viel am Stück: Menschen schauen anderen Menschen in den sozialen Medien gern beim Essen zu. Extreme Essenstrends bergen jedoch auch immense Gefahren: „Im Prinzip ist das alles ja ein Wettbewerb. Und ein Wettbewerb geht oft in etwas Extremes über“, sagt Christina Holzapfel. Sie ist Professorin und Leiterin der Forschergruppe „Personalisierte Ernährung und E-Health“ an der Technischen Universität München. Gefährlich werden die Trends ihren Angaben nach, wenn sie unterschätzt und nicht eingeordnet werden.
Efecan Kültür, ein türkischer TikToker, postete beinahe täglich Videos, in denen er Unmengen an Essen vor der Kamera verspeiste – sie wurden tausendfach geklickt. „Mukbang“ nennt man das Essen vor der Kamera, das Kültür betrieb. Mit nur 24 Jahren starb er kürzlich an seiner Fettleibigkeit, wie mehrere türkische Medien berichteten. Demnach hatte er zuvor längere Zeit im Krankenhaus verbracht.
@dailymail A TikToker known for sharing videos of himself binge-eating has died aged 24 due to weight-related health problems. Efecan Kultur, who boasted 155,000 followers on TikTok, was well known in his native country Turkey as a 'mukbang' streamer. Efecan, who died on Friday, March 7, had been hospitalized since December 2024 due to health problems as a result of being overweight. He could no longer stand up and suffered breathing problems as well as constant bruising due to his size, which triggered mobility issues. Bedridden and unable to breathe without a machine, he was even unable to visit his mother's grave after she reportedly died one year ago. Efecan was allowed to continue his treatment at home, where he ultimately passed away. Read the full story on DailyMail.com. Link in bio. NewsX / Newsflash / efecankultur #news #rip #mukbang #eating #tiktoker ♬ snowfall – Øneheart & reidenshi
Hohe Gefahr durch Nachahmer
Und das ist kein Einzelfall: Durch Essenstrends mit unter anderem großen Mengen oder extremer Schärfe ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu gesundheitlichen Notfällen bei Nutzern sozialer Medien gekommen. Die Nachahmungsgefahr ist ausgesprochen hoch, sagen Experten: „Wenn dann die Videos teils gefaked sind, kann das ein echtes Problem sein“, sagt Harald Seitz vom Bundeszentrum für Ernährung. „Kein Mensch isst im Normalfall diese Portionen. Das schaffen sie gar nicht, das schafft der Körper gar nicht. Da ist der Magen einfach dann irgendwann voll.“
Auch die Zusammensetzung der Mahlzeiten ist entscheidend: Das, was man in vielen Videos so sehe, seien energiereiche, energiedichte Lebensmittel mit vielen Kalorien, sagt auch Expertin Holzapfel. „Diese Menge, die da gegessen wird, sollte eine Ausnahme sein und das ist natürlich für den Körper auch eine außergewöhnliche Situation.“ Esse man über die Sättigung hinaus, reagiere der Körper oftmals entsprechend – mit Übelkeit, mit Völlegefühl, mit Blähungen bis hin zum Erbrechen. Der Körper wehre sich, sagt Holzapfel.
Früher war Essen ein Gemeinschaftserlebnis
In den Nullerjahren ist der „Mukbang“-Trend in Südkorea durch einen eher kuriosen Zufall entstanden: Als ein Gamer auf der beliebten, koreanischen Streaming-Plattform „AfreecaTV“ Hunger bekam und vor laufender Kamera genüsslich einen Becher Instant-Nudeln schlürfte, soll das bei den Zuschauern derart gut angekommen sein, dass sich schon bald etliche Nachahmer fanden.
Das Phänomen setzt sich aus den Wörtern „Muk-da“ (essen) und „Bang Song“ (Rundfunk/senden) zusammen, und beschreibt die Tätigkeit bereits ziemlich gut: Man filmt sich selbst beim Essen.
Dass das Phänomen ausgerechnet in Südkorea begann, ist kein Zufall. Nachdem die Mahlzeiten in der streng konfuzianisch geprägten Kultur Koreas von strengen Ritualen geprägt waren, hat sich die Esskultur in den vergangenen Jahrzehnten mit Aufkommen der Modernisierung des Landes radikal gewandelt. Junge Büroangestellte, geplagt von langen Arbeitszeiten und kurzen Mittagspausen, essen unter Zeitdruck schnell aufbereitetes Fast Food. Und oft tun sie das nicht mehr in geselligen Runden, wie es in der kollektivistischen Gesellschaft als Norm galt, sondern alleine vor ihrem Laptop.
Seitz zufolge war das gemeinschaftliche Essen dem sozialen Miteinander förderlich: „Und das hat dann schon einen psychologischen Vorteil“, sagt der Experte.
Thema Ernährung in sozialen Medien sehr präsent
Die Plattformen selbst halten sich bei der Beobachtung von Inhalten an Richtlinien – TikTok zum Beispiel hat eine Community-Richtlinie, wonach potenziell gefährdende Inhalte mit Altersbeschränkungen belegt werden. Die Dienste böten erst einmal nur die Plattform für die Verbreitung an, sagt Holzapfel. Dennoch sei die fehlende Einordnung der Inhalte von Experten ein Problem.
„Am Ende ist ja Social Media eine Plattform, über die sich Menschen erkundigen und auch ihr Wissen holen und auch natürlich Informationen teilen“, sagt Holzapfel. Dabei gebe es sicher auch positive Auswirkungen, zum Beispiel, weil man sich gut vernetzten könne. „Es gibt beispielsweise viele Rezepte und Kochvideos zu sämtlichen Ernährungsstilen.“ Das Thema Ernährung sei in den sozialen Medien sehr präsent.
Das Problem jedoch sei, „dass sich jeder Experte nennen kann und dann diese Botschaften eben nicht evidenzbasiert sind und nicht von der Wissenschaft kommen“, sagt Holzapfel.
Reglementierungen seien Seitz nach nur in bestimmtem Maße nützlich. Ein „erhobener Zeigefinger“ habe wahrscheinlich nicht den gewünschten Effekt. Dennoch sei die Aufklärung wichtig. „Es geht nur darum, zu sagen: Hier, passt mal auf, bei solchen Trends. Das kann witzig sein und unterhaltend, aber lasst euch dann nicht in die Irre führen.“