Gletscherabbruch in Schweizer Alpen Schuttberg 100 Meter hoch - Suche nach Schäfer läuft

Die Lonza hat sich eine solide Rinne durch den Schuttberg gebahnt.
Die Lonza hat sich eine solide Rinne durch den Schuttberg gebahnt. © Cyril Zingaro/KEYSTONE/dpa
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Schuttberg über Blatten 100 Meter hoch – Suche nach Schäfer

Update 2.6., 15.30 Uhr: Eis, Fels und Geröll türmen sich nach dem Gletscherabbruch in der Schweiz nach neuen Schätzungen teils 100 Meter über dem verschütteten Dorf Blatten. In der Nähe war zu dem Zeitpunkt ein Schäfer unterwegs. Nach mehrtägiger Unterbrechung hat die Polizei die Suche nach dem 64-Jährigen wieder aufgenommen.

„Spezialisten der Spezialeinheiten, der Gebirgsgruppe sowie Hundeführer der Kantonspolizei und der kantonalen Walliser Rettungsorganisation wurden von der Air Zermatt in das Gebiet geflogen“, teilte die Polizei mit. „Ein Bagger wurde ebenfalls vor Ort eingesetzt.“

Schäfer war außerhalb des Sperrgebiets

Die rund 300 Einwohner von Blatten waren angesichts des erwarteten Felsabbruchs vor zwei Wochen in Sicherheit gebracht worden, deshalb kam keiner zu Schaden. Aber der Schäfer hielt sich zum Zeitpunkt des Unglücks wahrscheinlich in einem Stall rund 300 Meter außerhalb des Sperrgebiets auf, schreibt die Zeitung „Blick“. Entgegen den Erwartungen wurde das Gelände dort auch von der Eis-, Fels- und Gerölllawine erfasst.

Update 2.6., 9.39 Uhr: Der Schutthaufen auf dem verschütteten Bergdorf Blatten in der Schweiz ist nach Schätzungen teils 100 Meter hoch. Das berichtete der Geologe des Kantons Wallis, Raphael Mayoraz, nachdem Spezialisten erstmals direkt auf dem Schuttberg gelandet sind, um die Konsistenz zu prüfen. Das Material sei bislang fest, aber das könne sich ändern, sagte er der Schweizer Zeitung „Le Nouvelliste“. Aufräumarbeiten sind bislang zu gefährlich, weil der Schutt überall jederzeit einbrechen könnte.

„Bisher haben wir keine größeren Risse oder Einstürze festgestellt“, sagte Mayoraz der Zeitung. „Das kann sich jedoch ändern, wenn das Eis zu schmelzen beginnt.“ Es geht um das Eis im Schuttberg. Rund ein Drittel der neun Millionen Kubikmeter, die das Dorf und das Flussbett der Lonza nach dem Gletscherabbruch am vergangenen Mittwoch verschüttet haben, dürften Gletschereis sein, schätzen die Experten.

Im Katastrophengebiet seien überall Kameras installiert worden, die den Schuttberg und den Stausee dahinter rund um die Uhr überwachen, berichtete Mayoraz. „Die Lonza fließt derzeit in einer neuen Rinne – und zwar relativ kontrolliert“, sagte er. Bislang seien keine größeren Mengen Material aus dem Schuttberg mitgerissen worden.

Sorge vor neuen Gletscherabbrüchen

Update 1.6., 12.05 Uhr: Nach dem Gletscherabbruch in der Schweiz droht im Katastrophengebiet neue Gefahr. „Am Kleinen Nesthorn wird erneut eine sehr hohe Aktivität registriert“, teilt der Führungsstab mit. „Laut Einschätzungen sind noch immer mehrere Hunderttausend Kubikmeter Fels instabil.“ Die Gefahr im Bergsturzgebiet bleibe „sehr hoch“.

Weil das Gelände auf einer Höhe von mehr als 2500 Metern sehr steil ist, können sich bei weiteren Abbrüchen neue Gerölllawinen entwickeln, fürchten Experten. Die Wettervorhersage bereitet den Expertinnen und Experten zudem Sorge. MeteoSchweiz warnte vor erheblicher Gewittergefahr, mit möglichen Sturmböen. Dazu kommt die Eisschmelze auf den umliegenden Bergen, ebenso wie im Schuttkegel, der das Eis des abgebrochenen Birschgletschers enthält – das alles kann den Schuttkegel destabilisieren.

Glück im Unglück: Wasser läuft ab

Update 30.5., 19.15 Uhr: Im Schweizer Katastrophengebiet läuft das dramatisch aufgestaute Wasser des Flusses Lonza zunächst in geordneten Bahnen ab. Die schlimmsten Befürchtungen einer Flutwelle oder einer Gerölllawine, die ins Lötschental donnern und weitere Dörfer gefährden könnten, sind zunächst ausgeblieben. „Wir rechnen nicht mit etwas Gröberem“, sagte Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren bei einer Pressekonferenz in Ferden. Risiken bestünden aber weiter.

„Es zeichnet sich ein erstes Gerinne ab“, sagte Studer. „Der Verlauf hat uns optimistisch gestimmt, dass das Wasser sich einen guten Weg sucht.“ Auf Drohnenaufnahmen ist auf dem gut zwei Kilometer langen Schuttkegel ein Wasserrinnsal zu sehen, und weiter unten im Flussbett der Lonza fließt ebenfalls Wasser. Das deutet darauf hin, dass Wasser auch durch den zwei Kilometer Schuttkegel sickert.

Schweiz: Menschen sind fluchtbereit

Update 30.5., 11.30 Uhr: Im Schweizer Lötschental steigt das Wasser hinter dem gigantischen Schuttkegel durch den Gletscherabbruch unaufhörlich. Die Lage ist bedrohlich, die Kante des meterhohen Eis-, Fels- und Geröllbergs ist fast erreicht, heißt es vom Katastrophenstab. Die Behörden rechnen stündlich damit, dass das Wasser des Flusses Lonza sich einen Weg Richtung Tal bahnt. Die Menschen werden unter anderem über die Notfall-App Alertswiss auf dem Laufenden gehalten.

Der Kantonsgeologe Raphaël Mayoraz äußerte sich nun vorsichtig optimistisch, dass das Schlimmste doch nicht eintrifft. Dem französischsprachigen Sender RTS sagte er: „Das Wasser beginnt sich seinen Weg durch die 2,5 Kilometer lange (Schutt-) Ablagerung zu bahnen. Mit fortschreitender Zeit reduziert sich langsam aber sicher das Risiko eines Katastrophenszenarios.“

Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren des Kantons Wallis beschrieb am Donnerstagabend im Schweizer Fernsehen, wie ein solches Szenario aussehen könnte. „Das „worst case“-Szenario ist, dass plötzlich entgegen den aktuell als eher realistisch eingeschätzten Szenarien viel mehr Wasser und Geschiebe kommt, das das Staubecken Ferden nicht mehr zu schlucken vermag.“

Bewohner und Behörden sind zum Abwarten verdammt. Es besteht keine Möglichkeit, den Abfluss etwa durch das Fräsen einer Rinne in den Schuttberg in geordnete Bahnen zu lenken. Dafür ist das Gelände zu instabil. Menschen und Maschinen könnten einbrechen. „Unternehmen können wir leider wenig, weil die Sicherheitslage vor Ort es nicht zulässt, dass wir mit schweren Maschinen eingreifen können“, sagte Studer. Die Armee steht aber bereit, sobald es die Lage zulässt, mit Räumungsarbeiten zu beginnen.

Lötschental: Weitere Gemeinden bereiten Räumung vor

Update 30.5., 9.30 Uhr: Hinter dem Schuttkegel des Gletscherabbruchs im Lötschental ist der gestaute Fluss Lonza so bedrohlich angeschwollen, dass die Behörden weitere Gemeinden auf eine Räumung vorbereiten. „Wir fordern die Bewohner auf, persönliche Vorbereitungen zu treffen, um innert möglichst kurzer Zeit die Wohnungen verlassen zu können“, teilen die Gemeinden Steg-Hohtenn und Gampel-Bratsch auf ihrer Webseite mit.

Betroffen sind die Gemeinden Gampel und Steg rund 20 Kilometer unterhalb des verschütteten Dorfes Blatten. Insgesamt wohnen in dem Gebiet mehr als 2.000 Menschen, aber der Aufruf gilt nur für die Ortsteile am Talgrund, wie die Gemeinden mitteilen.

Schweiz: Flutwelle oder Gerölllawine

Erstmeldung: Nach dem Gletscherabbruch in der Schweiz spitzt sich die Lage hinter der riesigen entstandenen Geröllhalde zu: Das Flussbett der Lonza ist blockiert. Deshalb bildet sich dort ein See, dessen Pegelstand zeitweise drei Meter in der Stunde stieg. Das habe sich zwar verlangsamt, berichteten die Behörden im Lötschental am Abend. Der See breite sich nun in der Fläche aus. Sie rechnen aber damit, dass die immensen Wassermassen den See in den frühen Morgenstunden zum Überlaufen bringen.

„Ziel ist es, diesen Prozess möglichst gut zu antizipieren und die Sicherheit der Bevölkerung weiter unten sicherzustellen“, sagte Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren bei einer Pressekonferenz in Ferden im Lötschental. Was genau passieren könnte, versuchen Spezialistinnen und Spezialisten nun rund um die Uhr mit Erfahrung und Computermodellen vorauszusagen.

Eine Luftaufnahme, die einen Tag nach einer massiven Lawine, die durch den Abbruch des Birchgletschers ausgelöst wurde, aufgenommen wurde, zeigt die Zerstörung, die sie anrichtete, als sie auf den Talboden niederging und das Dorf Blatten in der Schweiz zerstörte.
Eine Luftaufnahme, die einen Tag nach einer massiven Lawine, die durch den Abbruch des Birchgletschers ausgelöst wurde, aufgenommen wurde, zeigt die Zerstörung, die sie anrichtete, als sie auf den Talboden niederging und das Dorf Blatten in der Schweiz zerstörte.© picture alliance/dpa/KEYSTONE

Wenn das Wasser durchbricht, droht weiter unten im Tal eine Flutwelle. In zwei Weilern wurden bereits mehrere Häuser vorsichtshalber geräumt. Auf Drohnenbildern ist das fast ganz unter einer meterhohen Schuttschicht begrabene Dorf Blatten kaum mehr zu sehen. „Ein Tal weint“, schrieb die Online-Plattform des lokalen Medienhauses Pomona.

Flutwelle oder Gerölllawine möglich

Dass eine riesige Flutwelle das Tal hinunter donnert, sei zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen, sagte Staatsrat Stéphane Ganzer, Mitglied der Walliser Kantonsregierung. Der Druck durch das nachfließende Wasser der Lonza sei da, insofern könnten sich die Wassermassen auch plötzlich einen Canyon durch den Schuttberg brechen. Zudem werde am Freitag oben im Tal mit 20 Grad Temperatur gerechnet. Dann schmelze der Schnee, was die Wassermengen noch erhöhe.

Nach Angaben von Studer ist aber ein Szenario wahrscheinlicher mit einem langsameren Abfluss, „dass der See sich schrittweise entleert, dass das in geordnetem Rahmen abläuft“. Gut sei, dass das Gefälle am Schuttkegel eher flach ist, sagte Studer. Möglich sei auch, dass das Wasser das abgelagerte Material verflüssigt und mit ins Tal reißt. Aber auch dabei sei zu erwarten, „dass nicht allzu viel Geschiebematerial auf einmal abgeht.“ Im Ort Ferden weiter unten im Tal gibt es ein Staubecken und eine Staumauer. Experten gingen davon aus, dass dort sämtliches Material aufgehalten werde.

Die Lage am Berg ist nach wie vor gefährlich. Zum einen drohen am Berg Kleines Nesthorn weitere Hunderttausende Kubikmeter Fels abzustürzen. Von dort waren Felsbrocken auf den Birschgletscher gestürzt, der unter der Last am Mittwochnachmittag abbrach und ins Tal donnerte. Von den gigantischen Mengen Geröll wurde ein Teil auf der gegenüberliegenden Talseite hochgeschoben. Dort drohen nun Gerölllawinen.

Wie stabil der eigentliche Schuttpegel ist, weiß auch niemand. Weil darin Eis ist, könnten sich Wassertaschen bilden. Räumtrupps der Armee stehen zwar bereit, aber das Gebiet zu betreten sei noch zu gefährlich, so die Behörden.

Ein Helikopter der Air Zermatt fliegt einen Tag nach der massiven Lawine, die durch den Abbruch des Birchgletschers ausgelöst wurde, über die Geröllhalde. Ein großer Teil des Dorfes Blatten im Lötschental im Kanton Wallis wurde unter Massen von Eis, Schlamm und Felsen begraben.
Ein Helikopter der Air Zermatt fliegt einen Tag nach der massiven Lawine, die durch den Abbruch des Birchgletschers ausgelöst wurde, über die Geröllhalde. Ein großer Teil des Dorfes Blatten im Lötschental im Kanton Wallis wurde unter Massen von Eis, Schlamm und Felsen begraben.© picture alliance/dpa/KEYSTONE

Einwohner unter Schock

Die rund 300 Einwohner des Dorfes Blatten haben alles verloren. 90 Prozent des Dorfes, rund 130 Häuser sowie die Kirche, sind unter einer Schuttschicht begraben. Sie sei zwischen 50 und 200 Metern dick, sagte Naturgefahrenchef Raphaël Mayoraz bei einer Medienkonferenz. Der Kegel ist zwei Kilometer lang und rund 200 Meter breit. Insgesamt donnerten nach Schätzungen drei Millionen Kubikmeter Fels, Geröll und Eis des Birchgletschers ins Tal.

Die wenigen verbliebenen Häuser sind nach Angaben der Behörden inzwischen durch den wachsenden Wasserstau der Lonza überflutet. Blatten ist das letzte Dorf im 27 Kilometer langen Lötschental. Es liegt auf rund 1500 Metern.

Das Dorf Blatten im Lötschental ohne Einwohner am 23. Mai 2025.
Als die Welt noch in Ordnung war: Blatten vor dem gigantischen Gletscherabbruch.© Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/dpa

Die gute Schweizer Überwachung der Gebirge hatte schon Mitte Mai zu Warnungen geführt, dass oberhalb des Dorfes ein Bergsturz droht. Als die Spalten im Fels schnell wuchsen, kam am 19. Mai aber doch recht plötzlich der Aufruf, das Dorf innerhalb einer Stunde zu verlassen. Viele haben in Kürze das Nötigste zusammengepackt und sind abgefahren.

Über Tage bröckelte der Fels und Brocken donnerten ins Tal, aber nichts davon erreichte Blatten. Bei der Evakuierung machten viele deutlich, dass sie die Vorsichtsmaßnahmen zwar schätzten, aber dennoch damit rechneten, dass das Dorf glimpflich davonkommt – wie bei ähnlichen Lagen in anderen Bergregionen.

Das schlimmste Szenario ist eingetroffen

Im Lötschental ist aber das schlimmste erdenkliche Szenario Wirklichkeit geworden. Der Abgeordnete Beat Rieder aus dem Nachbarweiler Wiler sprach im Fernsehen von einer Jahrhundertkatastrophe. „Es ist ein Ereignis, das das Tal seit Beginn der Geschichtsschreibung nie erlebt hat“, sagte er im Schweizer Fernsehen. „Die Leute haben alles verloren, was man sein ganzes Leben aufgebaut hat“, sagte er. „Man blickt auf den Bildschirm und kann nichts machen, das ist ein schwerer Schock.“

Seit die Eis- und Gerölllawine am Mittwochnachmittag mit gigantischem Getöse und einer Staubwolke wie nach einer Explosion ins Tal donnerte und Blatten unter sich vergrub, werden die Bewohner abgeschirmt und betreut. Gemeinderatsmitglieder zeigen sich vor der Presse fassungslos. Ein 64-jähriger Einheimischer war trotz Räumung am Mittwoch im Gefahrengebiet unterwegs und wird noch vermisst.

Bischof will Trost spenden

Der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey, bemühte Worte des Propheten Jesaja, um den Menschen Trost zu spenden: „Die Berge mögen weichen und die Hügel wanken, aber meine Liebe zu dir wird nicht weichen und mein Friedensbund mit dir wird nicht wanken (Jes 54,10)“, zitierte er.

Das Lötschental ist auch ein Urlauberparadies, im Sommer mit Wander- und Kletterrouten sowie Bergseen und viel unberührter Natur und mit Blick teils auf 40 Viertausendergipfel, im Winter mit kilometerlangen Skipisten. Es war bis zur Eröffnung des Lötschbergtunnels 1913 und dem Bau einer Straße in den 1950er Jahren nur schwer erreichbar.

dpa

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