„Du willst wissen, wie viel dein Auto wert ist?“ Warum wir ständig überall Ralf Schumacher sehen

Ralf Schumacher, der frühere Formel-1-Pilot, bei RTL-Spendenmarathon.
Ralf Schumacher? Der frühere Formel-1-Pilot ist inzwischen ständig in der Werbung zu sehen. © picture alliance/dpa
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Oh nein, da ist er schon wieder. Mit einem freudigen „Hey“ kommt der Mann in orangefarbenem Pulli ins Bild. Sein Gegenüber blickt erstaunt auf: „Ralf Schumacher?“, fragt der andere Mann erstaunt. Und als wäre das Aufeinandertreffen nicht schon bizarr genug, packt der ehemalige Formel-1-Rennfahrer dann auch noch sein Handy aus. „Du willst wissen, wie viel dein Auto wert ist?“, fragt er. Sein Gegenüber ist sofort begeistert und antwortet: „Jaa“.

Wer dieser Tage auf der Plattform Youtube ein Video startet, oder eine Serie bei Amazon Prime Video schaut, oder durchs lineare Privatfernsehen zappt, der dürfte am Werbespot mit Ralf Schumacher gar nicht mehr vorbeikommen. Der frühere Rennfahrer ist seit Herbst 2023 Werbegesicht für die Gebrauchtwagenplattform „Wir kaufen dein Auto“. Insbesondere in den vergangenen Monaten jedoch scheint das Unternehmen fast jeden freien Werbeplatz aufgekauft zu haben, den es im Internet gibt – mit Folgen.

In den sozialen Medien mehren sich inzwischen die Beschwerden über den Spot: Auf Plattformen wie Gutefrage debattieren Nutzerinnen und Nutzer über seinen Nerv-Gehalt – auf Reddit ist der Spot längst zu einem Meme geworden. In unzähligen Witz-Bildern persiflieren Nutzerinnen und Nutzer die Aufdringlichkeit des Clips:

Manch einer bringt Schumacher gar in Verbindung mit dem durchgedrehten Schriftsteller Jack Torrance aus dem Stephen-King-Film „The Shining“:

Und auf der Plattform Youtube teilen sich zahlreiche Parodien, die den Werbespot aufs Korn nehmen – etwa der des Animationskünstlers Plankton:

Nerven als Erfolgskonzept

Ein Einzelfall ist die Autowerbung mit Schumacher nicht: Übermäßig penetrante Werbespots scheinen zur festen Strategie mancher Unternehmen geworden zu sein. Für Beschwerden im Netz sorgten in den vergangenen Jahren auch immer wieder die Werbeclips des Vergleichsportals Check24: Monatelang nervte das Unternehmen mit einer Sitcom-Familie, später mit bizarren Latenight-Clips um Comedian David Werker.

Ein anderes aktuelles Beispiel sind auch die Spots des Lieferdienstes Uber Eats, der David Hasselhoff immer und immer wieder die Textzeilen „I‘ve been looking for Schnitzel“ singen lassen. „Die Spots haben mich motiviert, künftig mein Essen selbst zu kochen“, kommentiert jemand den Spot bei Reddit.

Aber auch historische Beispiele gibt es: Die Werbung des Seitenbacher-Müslis mit dem auffälligen schwäbischen Dialekt läuft bereits seit Jahren in Dauerschleife im Radio und ist – trotz seines hohen Nerv-Faktors – inzwischen eine Art „Weltkulturerbe“, wie jemand den Clip auf Youtube kommentiert.

Was also bringt es Marken, ihr Publikum zu Tode zu nerven? Und kann das dem Unternehmen im Zweifel auch schaden?

Aufmerksamkeit im Kommunikationsgewitter

Für Oliver Errichiello ist die Entwicklung der Werbebranche eine logische Konsequenz der heutigen Mediennutzung. „Wir sind jeden Tag mit mindestens 3000 Werbebotschaften konfrontiert – offline wie online“, sagt der Professor und Dozent für Markensoziologie und Markenführung, der an den Hochschulen in Mittweida und Luzern und an der Uni Hamburg lehrt. „Für Unternehmen stellt sich unweigerlich die Frage: Wie komme ich da überhaupt noch durch?“

Der klassische Weg: Langfristig denken und eine Marke über lange Zeit aufbauen. „Der Wert vieler digitaler Unternehmen beruht nicht auf ihrer technischen Plattform – die könnte man heute relativ schnell kopieren. Er beruht auf dem Markennamen und darauf, dass wir einen Automatismus entwickelt haben“, sagt Errichiello. Der Marketing-Fachbegriff dafür sei „Mental Availibility“, also „geistige Verfügbarkeit“.

„Bei der Internetsuche gehen wir sofort auf Google, bei der Buchung einer Ferienunterkunft denken wir an Airbnb, beim Verkaufen an Ebay.“ Das habe sich nicht über Nacht entwickelt, sondern über einen Zeitraum von zehn bis 20 Jahren. Einige der genannten Digitalmarken existieren schon seit der Jahrtausendwende, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte.

Und dann gebe es noch einen anderen Weg. Und der ziele darauf ab, genau diesen Effekt innerhalb kürzester Zeit zu erreichen. „Da wird dann mit aller Vehemenz und Penetranz ein Name bekannt gemacht. Das ist genau das, was Marken wie Check24 oder Wir-kaufen-dein-Auto gerade tun.“ Anders als früher habe man heute auch kaum noch die Möglichkeit, eine Marke langfristig aufzubauen, sagt Errichiello: „Es gibt zu viele Kanäle, zu viel Konkurrenz.“ Viele Unternehmen setzten daher auf einen „Knalleffekt“.

Amateurhaft wie das Werk einer Abiturklasse

Die Strategie der Nerv-Werbung folge dabei immer ähnlichen Mustern. „Die Spots heben sich oft ab von den perfekt durchinszenierten, dramaturgisch durchgeplanten Werbespots, die man sonst so sieht“, erklärt Errichiello. Der Clip mit Ralf Schumacher wirke „unelegant – fast so, als würde eine Abiturklasse einen Werbespot improvisieren“, sagt der Markensoziologe. Aber gerade deshalb falle er auch so auf.

„Wenn man sich anschaut, wie diese Spots aufgebaut sind, merkt man: Sie knüpfen an die Werbegeschichte der 50er- und 60er-Jahre an – in ihrer Machart, ihrer Dramaturgie, ihrem hölzernen Stil. Vor vielen Jahrzehnten wäre das völlig untergegangen – heute aber fällt es auf und irritiert, weil der Rest der Werbung so glatt und perfekt wirkt“, sagt der Markenexperte.

Zudem werde häufig mit Personen des öffentlichen Lebens gearbeitet: „Würde ein normaler Mensch die Werbebotschaft aufsagen, würde das in der Masse wahrscheinlich untergehen.“ Eine kontroverse Debatte in den sozialen Medien oder gar einen Shitstorm kalkulierten Marken übrigens fest mit ein: „Das ist das Beste, was ihnen passieren kann“, sagt Errichiello. Selbst wenn genervt oder ironisch darüber gesprochen werde, erlange der Markenname eine Bekanntheit.

Enorme Kosten

Ein zweiter Faktor sei dann die Häufigkeit, in der die Spots ausgestrahlt werden. Was genau das für ein Unternehmen kostet, lässt sich kaum abschätzen. Bei einer Youtube-Werbeanzeige kostet ein Klick für den Werbetreibenden Schätzungen zufolge 10 bis 30 Cent.

Beim Fernsehen variieren die Preise stark: Bei einem Spartensender kann ein 20-sekündiger Werbespot schon für 3000 Euro zu haben sein, bei einem großen Privatsender in der Primetime können auch 150.000 bis 200.000 Euro anfallen.

Hinzu kommen die Produktionskosten – und natürlich auch die Gage für prominente Werbefiguren. „Diese ist auch davon abhängig, wie häufig die Spots ausgestrahlt werden“, erkärt Errichiello. In der Häufigkeit, in der Ralf Schumacher über die Bildschirme laufe, komme da für das Unternehmen schon einiges zusammen.

Andere Marken sollen verdrängt werden

Aber rechnen sich diese hohen Kosten überhaupt? Laut Errichiello kann das Konzept aufgehen. Den Unternehmen gehe es nämlich um eine größere Strategie, die im Marketing auch als „Blitzscaling“ bezeichnet wird. „Dabei geht es darum, so viel Geld zu investieren, dass keine andere Marke mehr eine Chance hat und vom Markt verdrängt wird.“

Das Ziel sei, einen Marktanteil von über 90 Prozent zu erreichen – ähnlich wie etwa Google und Amazon in ihren jeweiligen Bereichen. „Am Ende bleibt nur ein Anbieter übrig, der dann den gesamten Markt dominiert – ein Markt, der groß genug ist, um die anfänglichen Kosten zu rechtfertigen“, erklärt der Markenexperte.

Gerade im Bereich digitaler Angebote sei das in den vergangenen Jahren häufig zu beobachten gewesen. Gab es in der Anfangsphase noch viele verschiedene Anbieter für Taxi-Buchungen, Fernreisen oder Essenslieferungen, haben sich heute einige wenige, manchmal auch nur ein einziges Unternehmen am Markt etabliert.

Klar ist laut Errichiello aber: Die Strategie der Nerv-Werbung geht nur auf, wenn auch andere Faktoren erfüllt sind. „Bloße Bekanntheit reicht nicht aus, wenn die dahinterstehende Leistung nicht stimmt. Ich muss eine gute Erfahrung machen, zum Beispiel eine große Auswahl an Angeboten finden oder faire Konditionen. Erst dann bewährt sich die Marke wirklich.“

Kann Nerv-Werbung einer Marke schaden?

Aber kann ein zu häufig eingesetzter Werbespot einem Unternehmen auch schaden? Für dieses Phänomen gibt es ebenfalls einen Namen in der Branche, den sogenannten „Wear-Out-Effekt“. Also: Wenn man eine Werbung einfach nicht mehr hören und sehen kann, weil sie viel zu häufig gelaufen ist.

Errichiello sagt aber: Meist bemerken dies vor allem Medienprofis. „Bei der breiten Masse hingegen tritt bei übermäßiger Penetranz irgendwann der Effekt ein, dass Menschen eine Marke in ihr sogenanntes ‚Relevant Set‘ aufnehmen. Das heißt: Wenn ich irgendwann tatsächlich vor der Entscheidung stehe, mein Auto zu verkaufen, funktioniert der Automatismus – und ich denke an die Marke mit Ralf Schumacher.“

Auch Schumacher als Personenmarke dürfte die Werbung nicht schaden, glaubt Errichiello. „Es gab Zeiten, da hat Franz Beckenbauer für fünf Unternehmen gleichzeitig geworben und tauchte teilweise mehrfach in einer Werbepause im Fernsehen auf“, so der Markensoziologe. Heute spreche darüber niemand mehr. „Das ist Fluch und Segen der Werbung zugleich: Sie macht schnell bekannt, aber die Wirkung verfliegt ebenso schnell.“

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