
Frederik Lang ist gelernter Drucker, er kann vorbildlich über die Lichtdurchlässigkeit von Papier referieren, oder darüber, wie eine Bogenoffsetmaschine funktioniert. Doch seine wichtigste Aufgabe lautet derzeit: beruhigen.
In den vergangenen Tagen meldeten sich viele aufgeregte Kommunen bei ihm: Gibt es genügend Papier? Bleiben die Preise stabil? Glaubt man dem Mediensturm der vergangenen Tage, hat Lang in den nächsten Wochen eine der wichtigsten Positionen der Republik inne. Als Teamleiter organisiert er die Herstellung jenes Utensils, das trotz hoch digitalisierter Zeiten für die Demokratiebildung unerlässlich ist: der Wahlzettel.
Lang arbeitet bei Schleunungdruck, einer 200-Personen-Firma im bayerischen Unterfranken. Zur vergangenen Bundestagswahl haben 1,3 Millionen Menschen ihr Kreuz auf von ihnen ausgelieferten Stimmzetteln gemacht. Ob die es bei der nun vorgezogenen Neuwahl aber rechtzeitig in die Lokale schaffen, hinterfragten in den vergangenen Tagen verschiedene Stellen. Allen voran Ruth Brand, die Bundeswahlleiterin, die vor Papiermangel und „unwägbaren Risiken auf allen Ebenen“ bei allzu zügigen Neuwahlen warnte. Nun scheint ein Wahltermin mit dem 23. Februar gefunden. Während die Politik erst einmal Ruhe gibt, beginnt für Menschen wie Frederik Lang jetzt die richtige Arbeit. Genau wie bei Schleunung stehen auch in den Verwaltungen Weihnachtsurlaube auf der Kippe. Eine Bundestagswahl wird zwar aus Berlin vorgegeben, letztlich aber in den Kommunen organisiert, vielfach von freiwilligen Helfern.
Was muss jetzt in Deutschlands Druckereien und Amtsstuben passieren, damit wir in rund 100 Tagen wählen gehen können?
Der Papiergroßhändler: „Kein realistisches Szenario“
Die Papierindustrie ist bislang nicht für allzu laute Lobbyarbeit bekannt. In dieser Woche erhob sie jedoch fast schon empört ihre Stimme: „Wir haben Papier. Die deutsche Papierindustrie ist sehr leistungsfähig“, hieß es etwa vom deutschen Branchen-Spitzenverband.
Sie habe keine Ahnung, was die Bundeswahlleiterin da im Kopf gehabt habe, sagt auch Sabine Goemann aus der Unternehmenskommunikation der Igepa Group, einem der größten Fachhandelsgruppen in Deutschland. Die Gruppe werde in diesem Jahr etwa 450.000 Tonnen Papier vermarkten – für die Stimmzettelproduktion würden dagegen nur etwa 400 Tonnen Papier benötigt, rechnet Goemann vor. Nichts im Vergleich etwa zum jährlichen Papierbedarf von Rathäusern, „das sind ganz andere Mengen.“

Es gebe keine Lieferschwierigkeiten, bei den Herstellern habe man sich schon nach ihren Beständen erkundigt. Ausgeliefert werden Recyclingpapiere von hoher Qualität, sie dürfen nicht durchscheinend sein, „damit niemand erkennen kann, wo Sie Ihr Kreuz gemacht haben.“ Das sind die Vorschriften. Die Druckereien bekommen das fertig geschnittene Papier als Formatware in den Maßen 70×100 Zentimeter auf Paletten geliefert. Metergroße Papierrollen, wie sie früher eingesetzt wurden, seien nicht mehr üblich, sagt Goemann. Das Papier wird in Deutschland hergestellt und kommt meist aus einem Umkreis von 200 Kilometern zu den Druckereien.
Goemann macht anhand der verkürzten Vorlaufzeit nur eine klimatische Besonderheit aus: Im Winter dürfe das Papier nicht zu lange draußen stehen, etwa bei der Anlieferung, da sich das „Naturprodukt“ wellen könnte, wenn es feucht wird. „Das wissen die Drucker als Fachleute aber auch.“
Die Druckerei: „Acht Millionen Stimmzettel“
Auch die Firma Schleunung, 1949 gegründet, meldete sich im Zuge der Neuwahl-Debatte in den sozialen Netzwerken: „Hallo, Berlin – wir sind Profis, wir kriegen das hin.“
Die Druckerei stellt für die kommende Bundestagswahl eine Kapazität von acht Millionen Stimmzetteln in Aussicht, das wäre fast ein Sechstel des benötigten Volumens für die rund 60 Millionen Wählerinnen und Wähler im Land.
Nimmt die Druckerei Aufträge der Kommunen an, steht und fällt in den Wahlkreisen alles mit dem jeweiligen Wahlausschuss, der die vorgeschlagenen Kandidaten der Parteien absegnet, erläutert Lang. „Erst ab diesem Termin kann der Stimmzettel als Dokument erstellt werden.“ Davon hängt auch ab, wie lang der Wahlzettel wird.
Von manchen Wahlkreisen bekommt er ein fertiges PDF-Dokument, andere schicken Word- und Excel-Dateien, die sein Team grafisch nach dem bundeseinheitlich vorgegeben Berliner Muster in Form bringen: links die Direktkandidaten (Erststimme) und rechts die Parteien (Zweitstimme). Zum Schluss wird noch einmal penibel geprüft: Schon kleine Vertipper könnten dazu führen, dass die Wahl im Anschluss angefochten werden könnte.
Statt farbigem Papier, wie es etwa bei regionalen Wahlen wegen mehrerer Stimmzettel benötigt wird, ist bei der Bundestagswahl weiß vorgeschrieben, das macht es für die Kommunen günstiger. Je nach Art der Wahl und Bestellmenge liegen die Kosten etwa im fünfstelligen bis mittleren sechsstelligen Bereich.
Fünf große Maschinen drucken die Stimmzettel aus, bei der vergangenen Bundestagswahl liefen sie bei Schleunung etwas mehr als zwei Tage. Länger dauert das anschließende Schneiden, Falzen und Verpacken der Unterlagen. Lang rechnet dafür anderthalb bis drei Wochen ein. Insgesamt sei es in vier Wochen möglich, die potenziell acht Millionen Wahlzettel, die sie produzieren könnten, am Standort anzufertigen.
Die Auslieferung übernehmen Logistiker, wenn die Stimmzettel in weiter entfernte Wahlkreise gehen. Im näheren Umkreis fährt die Druckerei die Zettel mit eigenen Lastwagen meist in einer Fuhre zu Rathäusern oder Landratsämtern, von wo aus sie weiterverteilt oder für die Briefwahl verschickt werden.
Der Kreiswahlleiter: „Wahlhelfer fehlen“
So auch im Wahlkreis 112 „Wesel 1″ im westlichen Nordrhein-Westfalen, wo Lars Rentmeister bereits vier Bundestagswahlen als Kreiswahlleiter begleitet hat. Die anvisierte Wahl nennt er „ambitioniert“, erinnert aber an die vorgezogenen Neuwahlen 2005, da war er auch schon in anderer Funktion an Bord.
Rentmeister, 56, ist einer von 299 Kreiswahlleiterin in Deutschland und zählt damit zu den wichtigsten Zahnrädchen im Vorfeld der Abstimmung. Der Wahlausschuss unter seinem Vorsitz muss die Kandidaten etwa auf Vorstrafen prüfen und sichergehen, dass Formalien wie Alter und Staatsangehörigkeit stimmen.
Die größte Unbekannte sind für ihn derzeit die Fristen: Normalerweise müssen beispielsweise die Kandidatenvorschläge der Parteien bis zum 68. Tag vor der Wahl bei ihm eingehen. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Rentmeister rechnet damit, dass die Bundeswahlleiterin die Fristen angesichts der knappen Zeit in etwa halbieren wird. Er wartet nun darauf, dass die Parteien zunächst auf ihren Versammlungen ihre Kandidaten küren, und animiert sie gleichzeitig dazu, Mitglieder für seinen Wahlausschuss zu bestimmen.

„Jeder weiß, was zu tun ist, vor so einer Wahl“, sagt Rentmeister. „Das muss jetzt nur ein bisschen schneller gehen.“ Die Kommunen laufen sich nun schon einmal warm, wie er es nennt: Es werden Vorgespräche mit Druckereien geführt, Wählerverzeichnisse aktualisiert, die 270 Wahllokale im Wahlkreis geprüft. Urnen werden herausgeholt, die Zahl der Bleistifte für die Wahlkoffer gecheckt. „Das sind alles Dinge, die jetzt schon laufen.“
Eine der größten Unwägbarkeiten sind noch die Wahlhelfer, rund 1600 benötigen sie allein in seinem Wahlkreis. Die Aufrufe in den Kommunen dafür laufen schon. Das Engagement sei nicht mehr so selbstverständlich wie früher, sagt Rentmeister, auch andere Kreiswahlleiter berichten von einem Generationenwechsel. Im äußersten Notfall können Bürger zum Dienst an der Urne verpflichtet werden. Ein wichtiges Rückgrat sind außerdem Behördenmitarbeiter, die ob ihrer Erfahrung häufig Wahllokale leiten. Doch auch sie melden sich freiwillig. Eine Herausforderung ist zudem, dass sie die Wahl neben ihrem üblichen Pensum organsieren müssen, um beispielsweise die Briefwahlunterlagen zusammenzustellen. Das laufe neben dem täglichen Geschäft einfach mit, heißt es etwa aus der bayerischen Gemeinde Baierbrunn. Überhaupt erwarten die Verwaltungen Einschnitte, Urlaubssperren um den 23. Februar seien wahrscheinlich, schätzt Rentmeister. „Die Kommunen schreiben jetzt schon ihre Leute an.“
Trotz des erwarteten Stresses ist der Zeitplan aber umsetzbar, das sagen zumindest diese drei Schlüsselakteure. Vielleicht hat der vorgezogene Wahltermin dabei noch einen anderen, angenehmeren Effekt. Nach Ampel-Streit und dem vielfach geäußerten Gefühl der Lähmung kann das Land zeigen, dass es politisch anpacken und Neuwahlen stemmen kann. Der Stimmung im Land kann das nur guttun.