Enthemmung, Euphorie, Bewusstlosigkeit: So wirken K.-o.-Tropfen

Nach einem Witz der Comedienne Joyce Ilg entbrennt die Diskussion über K.o.-Tropfen erneut. Wie gefährlich sind sie?
Nach einem Witz der Comedienne Joyce Ilg entbrennt die Diskussion über K.o.-Tropfen erneut. Wie gefährlich sind sie? © dpa/Archiv
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Die Bilder verschwimmen, die Musik hämmert, es wird nebelig, die Übelkeit verstärkt den Schwindel. Sie glaubt, sie hat zu viel getrunken. Sie glaubt, der Alkohol wirkt heute besonders stark. Aber morgen, morgen wird sie es nicht mehr wissen. Sie wird nicht mehr erinnern an die Leichtigkeit, an den Kontrollverlust, an die Ohnmacht, an die Hilflosigkeit. Sie wird nicht mehr wissen, dass sie bemerkte, wie sich jemand über sie beugte, sie auszog. Sie wird vielleicht Hämatome oder Schmerzen im Unterleib haben, weil dieser jemand ihre Situation ausgenutzt hat oder gar bewusst herbei geführt hat, um sie zu vergewaltigen.

K. o. ist eine Bezeichnung, die vom Boxsport kommt. Ist der Gegner oder die Gegnerin physisch oder psychisch nicht mehr in der Lage, den Kampf fortzuführen, handelt es sich um ein Knockout. Nach diesem Zustand der Handlungsunfähigkeit benannt: K.-o.-Tropfen. Tropfen, die zu einem Knockout führen, die eine Person außer Gefecht setzen, bewusstlos und willenlos machen. Tropfen, die oft jungen Frauen, manchmal auch Männern, unbemerkt verabreicht werden, etwa indem sie in einem unbeobachteten Moment ins Getränk getröpfelt werden.

Missbrauch mit K.-o.-Tropfen: Dunkelziffer wohl sehr hoch

Wie viele Fälle es genau gibt, werde nicht erhoben, sagt der Opfer-Verband Weißer Ring. Denn nur die wenigsten Opfer können rechtzeitig untersucht werden, um die Reste der K.-o.-Tropfen im Blut und Urin nachzuweisen. Vier Stunden etwa ist Zeit, doch vor allem, wenn die Opfer alleine und dem Täter oder der Täterin ausgeliefert sind, vergeht die Zeit zu schnell, bis sie erkennen, mit K.-o.-Tropfen betäubt worden zu sein.

Dokumentierte Fälle gibt es jährlich Tausende in Deutschland, teilweise erfolgte der Konsum aber freiwillig. Unter unfreiwilligen Konsumentinnen und Konsumenten ist die Dunkelziffer vermutlich hoch, denn die Hürden für Opfer oder mutmaßliche Opfer sind hoch, monieren Opferschutzverbände seit Jahren. So kann nur die Polizei einen kostenfreien Test auf Rückstände der K.-o.-Tropfen anordnen, hierfür jedoch muss eine Anzeige vorliegen. Damit vergeht wertvolle Zeit, in denen die Mittel nachweisbar sind.

In Köln haben sich bereits Anlaufstellen gefunden, die die Kosten übernehmen, um mögliche Opfer zu entlasten: Mehrere Krankenhäuser beteiligen sich an dem Projekt „Anonyme Spurensicherung nach Sexualstraftaten“ (ASS) und werten die Proben kostenfrei aus, wenn der Verdacht auf K.-o.-Tropfen besteht. Zudem, geben Ärzte und Opferverbände an, würden viele glauben, einfach zu viel getrunken zu haben – durch die Erinnerungslücken lässt sich die Tat kaum rekonstruieren.

Frauen in Frankreich und Großbritannien protestieren

In Frankreich mobilisierten zuletzt zahlreiche Menschen in den sozialen Netzwerken und machten damit auf das Problem aufmerksam. Unter dem Hashtag #BalanceTonBar – übersetzt etwa: Stelle deine Bar an den Pranger – schrieben Menschen seit der Aufhebung der Corona-Maßnahmen und der Wiedereröffnung der Clubs ihre Erfahrungen nieder. Die Regierung reagierte mit einer großen Kampagne, um vor der Masche zu warnen. Bei Verdacht auf Missbrauch stehen 66 Polizistinnen und Polizisten per Chat bereit, um Hilfe zu bieten, QR-Codes hierfür finden sich landesweit in Discos und Nachtclubs. Zudem müssen alle Menschen, die bewusstlos in Kliniken eingeliefert werden, auf K.-o.-Tropfen untersucht werden.

In Großbritannien eskalierte die Situation im Herbst 2021, nur wenige Wochen, nachdem England den „Freedom Day“ und das Ende der Corona-Maßnahmen gefeiert hatte. Von September bis Dezember nahm die Polizei 670 Meldungen von Frauen und Mädchen entgegen, die vermuteten, mit K.-o.-Tropfen betäubt worden zu sein. Vor allem eine neue Methode geriet dabei in den Fokus: Anstatt die Tropfen ins Getränk zu mischen, wurden die Frauen mit einer Spritze gepiekst, dadurch wurden ihnen die Drogen injiziert. Unter dem Motto „Girls Night In“ (in Anlehnung an Girls Night Out) riefen die Frauen zum Clubboykott auf und zogen protestierend durch die Straßen.

K.-o.-Tropfen: von Liquid Ecstasy über Schmerzmittel bis zu Psychopharmaka

K.-o.-Tropfen gibt es in verschiedenen Zusammensetzungen, die allesamt das gleiche Ziel verfolgen: Die Person, die sie einnimmt, handlungsunfähig zu machen. Oft werden aus Benzodiazepinen, Chloralhydrat, Muskelrelaxantien und Barbituraten Tropfen zusammengemischt, Medikamente, die beispielsweise als Schmerz-, Beruhigungs- und Narkosemittel bei Menschen und Tieren oder als Psychopharmaka angewandt werden. Gängig sind aber auch die Partydrogen GHB (GammaHydroxybuttersäure) und GBL (Gamma-Butyrolacton), auch Liquid Ecstasy genannt.

Einige der meist flüssigen Substanzen sind in Deutschland legal zu erwerben, etwa Schmerz- und Beruhigungsmittel; wenngleich es als Körperverletzung gilt, anderen K.-o.-Tropfen zu verabreichen. Die Tropfen, die hin und wieder auch in Form von Pulver oder Tabletten eingesetzt werden, sind geruchs- und farblos, haben nur wenig Geschmack, und fallen daher nicht auf, wenn sie unter Nahrungsmittel oder in Getränke gemischt werden. Das in Großbritannien zuletzt im Fokus gestandenen Spiking, bei denen die Drogen via Spritzen verabreicht werden, ist in Deutschland noch nicht nachgewiesen.

RND

Der Artikel "Enthemmung, Euphorie, Bewusstlosigkeit: So wirken K.-o.-Tropfen" stammt von unserem Partner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland