Bienensterben in Deutschland Panikmache oder notwendige Warnung?

Bienen krabbeln an der Wabe eines Bienenstocks. Die gestreiften Insekten sammeln wieder Pollen und Nektar.
Bienen krabbeln an der Wabe eines Bienenstocks. Die gestreiften Insekten sammeln wieder Pollen und Nektar. © picture alliance/dpa
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Das „Bienensterben“ sorgt seit Jahren für Schlagzeilen. Auch aktuell schreibt etwa die Berliner Morgenpost von einem Sterben in Rekordzahlen, und in der Bild-Zeitung berichten Imker aus Sachsen und Thüringen von Verlusten bis zu 50 Prozent bei ihren Bienenvölkern. Damit wächst die Angst vor Konsequenzen – nicht nur vor teurem Honig, sondern auch vor einem Ernteverlust in der Landwirtschaft, wenn die Bestäuber fehlen. Die Sorge um die fliegenden Insekten ist berechtigt, wird aber zu undifferenziert betrachtet, wissen Bienenforscher und Imker.

Einer von ihnen ist Martin Weber. Als der Imker aus Hannover-Döhren Anfang April einen seiner hölzernen Bienenstöcke anhebt, weiß er schon: „Hier ist nichts mehr los.“ Das vertraute Summen fehlt. Sobald er den Metalldeckel anhebt, bestätigt sich sein Verdacht: Dieses Volk hat den Winter nicht überlebt. Der Boden der Kiste ist übersät mit toten Bienenkörpern.

Jedes Jahr sterben in Deutschland Bienenvölker

Jeden Winter sterben in ganz Deutschland Millionen von Bienen. Pro Jahr seien es im bundesweiten Durchschnitt zwischen 10 und 25 Prozent der Honigbienenvölker, sagt Christoph Otten, Leiter des Fachzentrums Bienen und Imkerei in Mayen, Rheinland-Pfalz. Er wertet jährlich Daten von tausenden Imkern aus ganz Deutschland aus. Dabei gibt es regional unterschiedlich große Verluste. „Insgesamt schlägt das diesen Winter nach oben aus“, sagt Otten mit Blick auf erste Prognosen. Das trifft auch für Hobbyimker Weber zu. Er hat sieben seiner ehemals 24 Bienenvölker verloren – ein Verlust von fast 30 Prozent.

Warum so viele? „Das wüssten wir auch gern genauer“, sagt Otten. Tatsächlich sind die Ursachen für das winterliche Ableben der Honigbienen noch nicht vollumfänglich geklärt. Otten und Weber gehen davon aus, dass die Witterungsbedingungen im vergangenen Jahr den Milbenbefall begünstigt und damit überdurchschnittlich viele Opfer gefordert haben. Bei Weber seien vor allem die Heidevölker „auf der Strecke“ geblieben, die wegen der spätsommerlichen Ernte erst spät gegen die Milben behandelt werden konnten.

Die Varroa-Milbe, da ist sich die Wissenschaft einig, ist der wesentliche Faktor für das winterliche Ableben der Honigbienen. Der Parasit schwächt Arbeiterbienen und ihre Brut und überträgt gefährliche Viren. Doch auch eine zu geringe Nahrungsversorgung wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse im Sommer, der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und Folgen des Klimawandels, wie zunehmende Trockenheit und Einwanderung neuer Feinde und Parasiten, können die Sterblichkeit der Bienen begünstigen.

Bienenforscher: „Honigbienen wird es immer geben“

Ein Grund zur Panik ist das laut Otten aber nicht: „Honigbienen wird es immer geben.“ – jedenfalls, solange der Mensch sich um sie kümmere. Laut Deutschem Imkerbund (DIB) ist die Honigbiene das drittwichtigste Nutztier nach Rind und Schwein. Von 2010 bis heute ist die Zahl der Bienenvölker, die beim DIB registriert sind, deutlich gestiegen, von 620.000 auf mehr als 930.000. Die Gesamtzahl der Bienenvölker in Deutschland wird noch höher geschätzt. Seit einigen Jahren stagniere die Kurve, sagt Otten. Die jährlichen Verluste konnten die Imker durch Teilung und Vermehrung der Völker bisher ausgleichen, wenn auch mit wirtschaftlichen Einbußen, so der Bienenexperte.

Auch Imker Weber will seine leeren Bienenstöcke wieder füllen „Jetzt im Frühjahr ist eine gute Zeit, neue Völker zu generieren“, sagt er. Beispielsweise, indem er aus einigen Bienenkästen Waben mit Brut und Jungbienen entnehme und in einen neuen Stock einhänge. Eine neue Königin entwickle sich dann von allein, sagt er.

Seit 2015 sind 37 Wildbienenarten ausgestorben

Von einem langfristigen Bienensterben kann im Fall der Honigbiene also keine Rede sein. Umso dramatischer ist die Lage der Wildbienen. In Deutschland gibt es nach der aktuellen Bestandsaufnahme aus 2023 rund 600 Wildbienenarten, dazu gehören auch die allseits beliebten Hummeln. Rund die Hälfte der Arten ist gefährdet, knapp sechs Prozent akut vom Aussterben bedroht, sagt Bienenforscher Otto Boecking vom LAVES-Institut für Bienenkunde in Celle, Niedersachsen. Seit der vorherigen Bestandsaufnahme im Jahr 2015 gelten 37 Wildbienenarten als bundesweit ausgestorben.

Das Hauptproblem für die Wildbiene, wie auch für andere Fluginsekten, ist der Verlust von natürlichem Lebensraum und Nahrungsangebot – vor allem durch die Intensivierung der Landwirtschaft. Weil Felder mit einseitiger Bepflanzung immer größer werden, müssen Hecken und Blühwiesen weichen. Der Einsatz von Dünger und Unkrautbekämpfungsmitteln reduziert die Diversität der Wildpflanzen noch mehr. „Nicht mal mehr Löwenzahn wollen die Bauern auf ihren Wiesen“, sagt Boecking.

Viele Wildbienen, die oft auf eine oder wenige Pflanzen spezialisiert seien, fänden durch die Verarmung der Landschaft keine Nahrung mehr, erklären die Bienenforscher. Weil ein Großteil der Wildbienenarten im Boden nistete, verlieren sie zusätzlich durch Verdichtung und Bearbeitung des Bodens und Versieglung von Flächen für Straßen- und Siedlungsbau ihre Brutplätze.

Angst um die Ernte: Welche Folgen hat das Bienensterben?

Welche Konsequenzen hat dieses Bienensterben für uns Menschen? Nach Angaben des NABU sind rund 80 Prozent der Wild- und Kulturpflanzenarten in Deutschland von der Bestäubung durch Fluginsekten, vor allem den Bienen, abhängig. Für die Nahrungsmittelversorgung in Deutschland gibt Boecking aber Entwarnung. Einige wichtige Pflanzen, wie Weizen, Mais und Kartoffeln, würden generell ohne das Zutun von Insekten bestäubt werden. Die massenhafte Bestäubung vieler Obst- und Gemüsesorten – ob Raps, Äpfel oder Ackerbohnen – übernähme hauptsächlich die Honigbiene, die sich anders als die Wildbiene auf verschiedene Pflanzenarten einstellen könne.

Gesichert sei die Bestäubung dadurch aber nicht, hält Hobbyimker Weber dagegen. Zwar gäbe es viele Honigbienen und Imker, aber immer weniger, die die Imkerei im großen Stil betrieben und ihre Bienen zu den Feldern und Obstplantagen „karrten“, sagt Weber.

„Irgendwann bricht das Ökosystem zusammen“

Auch wenn die Wildbiene für unsere Nahrungsmittelproduktion weniger entscheidend ist, sollte ihr Verschwinden nicht verharmlost werden und wird laut Wissenschaft für uns spürbare Folgen haben. Bisher dienen die fliegenden Insekten als Nahrung für Spinnen, Insektenlarven oder Vögel. Zudem ernähren sich viele Vögel von Samen und Früchten, die nur durch die Bestäubung der Wildbienen wachsen.

Sterben diese Arten nach und nach aus, hinterlässt das eine gravierende Lücke im System. „Das ist ein schleichender Prozess, aber irgendwann bricht das Ökosystem zusammen“, warnt Bienenforscher Otten. Auch Boecking spricht von Kaskadeneffekten. Der Fokus läge beim Artenschutz zu sehr bei Großtieren, wie Wölfen und Bären. „Wir müssen aber auch die kleinsten Arten schützen.“

Insektenhotels retten die Wildbiene nicht

Um ein Zeichen gegen das Bienensterben zu setzen, schmückten sich viele Initiativen mit der Zucht von Honigbienen, sagt Wissenschaftler Boecking. Das könne laut Artenschützern aber sogar kontraproduktiv sein. „Die Haltung von Honigbienen hat nichts mit Naturschutz zu tun“, schreibt NABU-Autor Helge May. Wenn Imker Landschaften zeitweise mit Honigbienen „überfluteten“, würden diese den wild lebenden Bestäubern „schlicht die Nahrung wegnehmen“.

Wissenschaftler Boecking sieht die Konkurrenz zwischen Honig- und Wildbiene weniger kritisch – „weil die Folgen von Naturzerstörung und intensiver Landnutzung so viel gravierender sind“. Für ihn ist die Honigbiene der Schlüssel, um den Menschen ihrer Verantwortung gegenüber der Natur bewusst zu machen und sich damit auch besser für den Wildbienenschutz einzusetzen.

Dazu müssten die bekannten Mängel in der Agrarlandschaft kompensiert werden, erklärt der Wissenschaftler, beispielsweise durch geringeren Pestizideinsatz sowie den Erhalt von Brachflächen und Blühwiesen, die mehr Nahrung und Nistplätze böten. Im Rahmen bestehender Agrar-Umweltmaßnahmen werden Landwirte für solche Maßnahmen bereits finanziell unterstützt. Zudem hofft Boecking auf eine Hochstufung des gesetzlichen Schutzstatus der seltenen Wildbienenarten auf „streng geschützt“. Ob sich das Wildbienensterben so aufhalten lässt, bleibt abzuwarten. „Mit dem Aufhängen von Insektenhotels werden wir die Wildbienen jedenfalls nicht retten“, sagt Imker Weber.

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