
Knapp drei Wochen nach dem Terroranschlag von Solingen hat sich die schwarz-grüne Regierungskoalition von Nordrhein-Westfalen auf ein umfangreiches Sicherheitspaket geeinigt. Es sieht mehr Polizeibefugnisse und schärfere Abschieberegeln vor. „Wir lassen den Worten Taten folgen», sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Landtag. «Wir werden die Befugnisse unserer Sicherheitsbehörden ausweiten.“
Das Reformpaket besteht aus dutzenden Maßnahmen wie einer Stärkung des Verfassungsschutzes, der stärkeren Überwachung potenzieller Extremisten und einem besseren Datenaustausch der Behörden. Wüst sprach von einer doppelten Zäsur, denn nach dem Anschlag von Solingen sei erstmals eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem Landtag geworden. Das Landeskabinett hatte das Sicherheitspaket am Dienstag beschlossen. Es sei das umfangreichste Sicherheits- und Migrationspaket in der Geschichte Nordrhein-Westfalens, sagte Wüst.
Das Sicherheitspaket im Detail
Unter anderem sollen die Ermittler mehr Rechte bei der Fahndung nach radikalen Islamisten im Internet bekommen, für die auch Künstliche Intelligenz eingesetzt werden soll. Die Befugnisse des Verfassungsschutzes bei der Telekommunikationsüberwachung sollen gestärkt werden. So soll er auch Zugriff auf verschlüsselte Messengerdienste bekommen.
NRW will sich zudem mit Bundesratsinitiativen für eine Reihe von Maßnahmen wie der Vorratsdatenspeicherung einsetzen. Dazu gehört auch eine Verbesserung des sogenannten Dublin-Systems und die vereinfachte Ausweisung von Straftätern und Terroristen und deren Unterstützern.
NRW: Maßnahmen gegen irreguläre Migration
In NRW soll eine zentrale Übersicht der abschiebepflichtigen Personen eingeführt und der Datenaustausch zwischen den Behörden erleichtert werden. Menschen aus sicheren Herkunftsländern sollen bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag unbefristet in Aufnahmeeinrichtungen bleiben. An den Verwaltungsgerichten sollen drei zusätzliche Kammern für Asylverfahren eingerichtet werden. NRW plant zudem ein zweites Abschiebegefängnis.
Zudem soll der Kampf gegen die islamistische Radikalisierung von Jugendlichen durch eine Reihe Präventionsmaßnahmen verstärkt werden.
NRW: Opposition kritisiert Versagen
Bei der Debatte der schwarz-grünen Regierungskoalition im NRW-Landtag hat die Opposition das Versagen von Regierung und Behörden kritisiert. „Beim Anschlag von Solingen hat nicht das Asylrecht versagt, sondern ihre Landesregierung“, sagte SPD-Oppositionsführer Jochen Ott.
„Der Attentäter von Solingen hätte am Tag seiner Verbrechen nicht mehr im Land sein dürfen. Wäre es nach Recht und Gesetz gegangen, wäre er längst nach Bulgarien abgeschoben worden. Aber dazu waren die Behörden in Nordrhein-Westfalen nicht in der Lage“, kritisierte Ott. Es gebe kein funktionierendes Abschiebemanagement im Land. Vor neuen Maßnahmen müsste an erster Stelle das geltende Recht umgesetzt werden.
Angekündigte Maßnahmen, wie die Einführung eines Datenaustauschs, seien ein Eingeständnis, dass die Regierung in Sicherheitsfragen schlecht organisiert sei. „Sie sind bei der Inneren Sicherheit nicht auf der Höhe der Zeit“, sagte er in Richtung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Ott bemängelte überdies, dass die Opposition nicht frühzeitig in das Maßnahmenpaket eingebunden worden sei.
NRW-Landtag: FDP mit Kritik
Für die FDP sagte Fraktionschef Henning Höne: „Das Attentat von Solingen hätte mit der bestehenden Rechtslage verhindert werden können.“ Solingen sei wegen eines Behördenversagens möglich, das in der Verantwortung der Landesregierung liege. „Niemand soll in der Debatte jetzt so tun, als hätte es an fehlenden rechtlichen Möglichkeiten gelegen“, so der FDP-Politiker.
„Nach zweieinhalb Jahren kommt die Methode Wüst – schöne Bilder, kein Maschinenraum – an ihre Grenzen“, sagte Höne. So sei die Dauer der Asylverfahren nicht, wie Wüst behaupte, um ein Drittel verkürzt worden, sondern nur um ein Fünftel, von 24 auf 19 Monate. In Rheinland-Pfalz liege sie bei dreieinhalb Monaten.
Anschlag von Solingen
In Solingen hatte am 23. August ein Mann auf einem Stadtfest drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt. Der mutmaßliche Täter, ein 26-jähriger Syrer, sitzt in Untersuchungshaft. Er hätte eigentlich schon vergangenes Jahr abgeschoben werden sollen, was aber scheiterte. Die Terrorgruppe Islamischer Staat hatte den Anschlag für sich reklamiert.
Die schon im Juni 2023 geplante Abschiebung des tatverdächtigen Syrers nach Bulgarien war gescheitert, weil er in seiner Notunterkunft nicht anzutreffen war. Weitere Versuche der Rückführung hatte es nicht gegeben.
Wüst hatte die Messerattacke von Solingen in einer Sondersitzung des Plenums als «Wendepunkt» bezeichnet. Das individuelle Recht auf Asyl bleibe in Deutschland aber gewahrt und werde nicht in Zweifel gestellt. Hunderttausende Menschen, die nach Deutschland gekommen seien, hätten jedoch kein Recht auf Asyl.
In den vergangenen Tagen hatten bereits Innenminister Herbert Reul (CDU) und Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) erste Maßnahmen vorgelegt. So hatte Reul mehr Polizeipräsenz und Personenkontrollen bei Volksfesten angeordnet. Paul hatte die Kontroll- und Aufsichtspflichten der kommunalen und zentralen Ausländerbehörden bei Rückführungen abgelehnter Asylbewerber verschärft.
dpa