ARD und ZDF vor massivem Umbau 17 Radiosender fallen weg, Spartenkanäle fusionieren

Fahnen mit den Markenlogos von ARD, ZDF und 3Sat sind im Hintergrund einer TV-Kamera zu sehen
Die Ministerpräsidenten der Länder haben über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beraten. Vertagen die Entscheidung zu einer möglichen Erhöhung des Rundfunkbeitrags jedoch auf Dezember. (Archivfoto) © picture alliance/dpa
Lesezeit

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland erlebt den größten Umbau seit seiner Gründung. Nach gut zweijährigem Ringen haben sich die 16 Ministerpräsidenten auf einen neuen gesetzlichen Rahmen für ARD, ZDF und Deutschlandradio geeinigt. Der einstimmig beschlossene Reformstaatsvertrag sieht massive Einschnitte vor: So sollen unter anderem 17 ARD-Radioprogramme und etwa die Hälfte aller zehn Spartensender eingestellt werden. Die Ausgaben für Sportrechte werden auf 5 Prozent der Gesamteinnahmen gedeckelt.

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zentral für dieses Land und genießt hohes Vertrauen“, sagte Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen. „Aber wir mussten die Kostenexplosion stoppen.“ Alexander Schweitzer (SPD), Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und federführend bei Medienthemen, kündigte „mehr Klasse statt Masse“ an. ARD und ZDF würden „moderner und schlanker“, und das gehe auch „mit weniger Geld“. Wie hoch die Einsparungen langfristig sein werden, ist noch nicht genau bezifferbar.

Der Staatsvertrag regelt nicht, wie und worüber die Sender inhaltlich berichten. Das Papier definiert stattdessen den gesellschaftlichen Auftrag, den ARD und ZDF zu erfüllen haben. Seit Jahren schwelt eine – auch politisch-ideologisch geführte – Debatte über die Frage, wie das stetig gewachsene öffentlich-rechtliche Gebilde flexiblere Strukturen bekommen kann.

Wird der Rundfunkbeitrag erhöht?

Die gute Nachricht für Zuschauerinnen und Zuschauer: Der Rundfunkbeitrag bleibt vorerst unangetastet. Er liegt aktuell bei 18,36 Euro im Monat pro Haushalt. Die zuständige unabhängige Gebührenkommission KEF hatte eine Erhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro pro Monat ab Januar 2025 vorgeschlagen. Das würde dann Gesamteinnahmen von 10,4 Milliarden Euro pro Jahr für ARD, ZDF und Deutschlandradio bedeuten.

Doch aus mehreren Bundesländern kam Widerstand. Deshalb klammerten die Länderchefs das heikle Thema vorerst aus. Im Dezember soll es weitere Beratungen dazu geben. Der Bremer Landeschef Andreas Bovenschulte kritisierte im Kurznachrichtendienst X, dass sich seine Kollegen nicht auf eine Anhebung verständigen konnten – und hatte dabei vor allem die chronisch klamme Minisendeanstalt Radio Bremen im Blick:

Kein deutsches Medienhaus steht finanziell auch nur annähernd so gut da wie die Öffentlich-Rechtlichen. Derzeit kassieren ARD (Jahresetat: 7,2 Milliarden Euro), das ZDF (2,5 Milliarden Euro) und das Deutschlandradio (276 Millionen Euro) zusammen gut 10 Milliarden Euro im Jahr.

Zum Vergleich: Die BBC in Großbritannien verfügt über 6,25 Milliarden Euro im Jahr, France Télévisions kommt mit 2,8 Milliarden Euro aus, die italienische RAI gar mit 2,5 Milliarden Euro – einem Viertel der deutschen Summe. Allein für die betriebliche Altersversorgung müssen die Anstalten jährlich rund 567 Millionen Euro zurücklegen – knapp 6 Prozent ihrer Einnahmen.

Denkbar, dass sich Sender und Länder Anfang des Jahres vor dem Bundesverfassungsgericht wiedersehen, denn die Intendanten rechnen weiterhin mit einer Erhöhung. „Es gibt keinen Plan B“, sagte der ARD-Vorsitzende und SWR-Chef Kai Gniffke. „Wir vertrauen darauf, dass alle Beteiligten sich an das gesetzliche Verfahren halten.“ Mittelfristig plant die Politik statt des bisherigen KEF-Verfahrens, bei dem die Sender alle vier Jahre ihren Bedarf anmelden, einen „Systemwechsel“ bei der Finanzierung, sagte Schweitzer. „Wir müssen das Thema von der Temperatur her herunterfahren.“ Die „Staatsferne“ soll dabei aber gewahrt bleiben.

Was ist beim Fernsehen geplant?

Von derzeit zehn Spartensendern bleiben nur fünf bis sechs erhalten. Im neuen Staatsvertrag ist von drei „Körben“ die Rede, in denen jeweils verwandte TV-Geschwistersender von ARD und ZDF mit sich überschneidenden Schwerpunkten liegen. Die Zahl ähnlicher Kanäle soll mittelfristig verringert werden. Welche Sender in den jeweiligen Körben sie „opfern“, dürfen die Sender weitgehend selbst entscheiden.

Von den vier Sendern im Korb „Bildung, Dokumentation, Information“ etwa – das sind ARD alpha, ZDFinfo, Tagesschau24 und Phoenix – sollen nur ein bis zwei Angebote übrig bleiben. Hier haben wohl ZDFinfo als Dokumentationskanal sowie Tagesschau24 und Phoenix als fusioniertes 24-Stunden-Nachrichtenprogramm (dann möglicherweise unter Führung des „ARD aktuell“-Teams beim NDR in Hamburg) die besten Überlebenschancen.

Im Korb „Junge Menschen“ liegen vier Angebote: der Kinderkanal, ZDFneo, das Onlineangebot Funk und der ARD-Ableger One. Hier dürften am Ende mindestens der Kinderkanal für Kinder, Funk und ein mit One verschmolzenes ZDFneo als Programm für jüngere Erwachsene übrig bleiben.

Der Korb „Kultur & International“ schließlich sieht Gemeinsamkeiten beim Kultursender 3sat und dem deutsch-französischen Kanal Arte. Zur umstrittenen Frage, ob 3sat mit Arte verschmolzen werden soll, überlassen die Ministerpräsidenten den Sendern ebenfalls die Entscheidung. Sie ist damit aber nicht vom Tisch.

Arte soll in Zukunft eine „über die rein deutsch-französische Zusammenarbeit hinausgehende europäische Rolle einnehmen“, also eine breitere Plattform werden als bisher. Deshalb ermögliche der neue Staatsvertrag, das bisher eigenständige 3sat-Angebot „perspektivisch“ in Arte zu integrieren. Es gebe aber keine Verpflichtung dazu. Der ORF in Österreich hat sich für einen Erhalt starkgemacht. Die Zukunft von 3sat ist damit offen. Vor allem gegen ein drohendes Ende von 3sat als eigenständigem Sender hatte es in der Kulturszene massive Proteste gegeben (+).

Was ändert sich beim Radio?

Die ARD betreibt aktuell 70 Radioprogramme (das ZDF bietet kein Radio an). Künftig soll jede der neun ARD-Landesrundfunkanstalten maximal vier Radiosender betreiben dürfen. Zusätzlich können die Landesgesetzgeber einen weiteren Sender pro sechs Millionen Einwohner im Bundesland erlauben. Für Mehrländeranstalten wie den NDR oder MDR sind Sonderregeln geplant. Nach diesem Modell würden 53 Sender bestehen bleiben. Welche Radioprogramme in welchem Sendegebiet nun zur Disposition stehen, ist noch nicht klar. Hierüber wird es in den kommenden Monaten noch Beratungen geben.

Was bedeutet der Plan für Social Media?

Die lineare TV-Nutzung bröckelt rasant. Bei den Jüngeren sowie bei Menschen mit Migrationsgeschichte sind ARD und ZDF als lineare Sender praktisch unbekannt. Und die Älteren – die treuesten Nutzer – sterben weg. Jüngere erreichte der öffentlich-rechtliche Rundfunk deshalb vor allem über soziale Medien. Mehr als 800 Social-Media-Kanäle betrieb allein die ARD im Jahr 2023. 140 davon hat man bereits freiwillig gestrichen. Die „Tagesschau“ betreibt die derzeit erfolgreichsten deutschen Medienkanäle bei Tiktok und Instagram. Gerade ist man mit dem Format „tagesschau together“ bei Twitch eingestiegen.

Zuletzt befürchteten die Sender massive Veränderungen bei ihren Tiktok-, Instagram- oder Facebook-Aktivitäten. Die „Tagesschau“-Redaktion versteckte am Donnerstag einige ihrer Instagram-Posts hinter schwarzen Kacheln („Was wird jetzt passieren?“) und protestierte damit gegen die Rundfunkreform. Der Knackpunkt dabei ist die sogenannte „Presseähnlichkeit“.

Bereits jetzt dürfen die Sendeanstalten keine Texte auf den eigenen Websites veröffentlichen, die keinen konkreten Bezug zu einer Sendung in Fernsehen oder Radio haben. Das liegt am Wortlaut des Rundfunkstaatsvertrags: Dort steht, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio Inhalte in „Bild und Ton“ anbieten. Hintergrund ist die Befürchtung privatwirtschaftlicher Presseverlage, die gebührenfinanzierten Sender könnten mit einem üppigen Textangebot den Verlagen Konkurrenz machen.

Die Sender hatten befürchtet, dass der neue Vertrag diese „Presseähnlichkeit“ auch in den sozialen Medien deutlich strenger auslegt. Die „Tagesschau“-Redaktion hätte danach auch in den sozialen Medien nur noch Themen umsetzen dürfen, die zuvor in einer „Tagesschau“-Sendung oder auf Tagesschau24 zu sehen waren. Dies ist nach letztem Stand nicht mehr in der befürchteten Strenge der Fall. So sind etwa „Schlagzeilen zu aktuellen Ereignissen“ ausdrücklich möglich. Und: Texte müssen sich zwar auf eine Sendung beziehen, die nicht älter ist als zwei Wochen. Sie müssen nach Ablauf dieser Frist aber nicht gelöscht werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Nun müssen noch die 16 Länderparlamente dem neuen Staatsvertrag zustimmen. Frühestens im Sommer 2025 kann er in Kraft treten. Die Reaktionen auf das neue Regelwerk fallen überwiegend kritisch aus. Es habe „mehr von einem Abbruchunternehmen als von einem Zukunftsprojekt“, sagte etwa Mika Beuster, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). Die meisten Beobachter rechnen damit, dass ARD und ZDF Anfang des Jahres in Karlsruhe für eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags kämpfen werden – wie bereits bei der letzten Erhöhung 2021.

Mehr Jobs

Sie sind bereits registriert?
Hier einloggen