
Eigentlich lässt sich dieser Fall nicht in Worte fassen. Eine Mutter aus Lünen soll wissentlich einem Pädophilen aus Schöningen bei Helmstedt (Niedersachsen) ihren elfjährigen Sohn überlassen haben, damit dieser sich sexuell an dem Jungen vergehen kann. Die Mutter selbst soll Zeugin bei den Taten gewesen sein – genauso wie ihre anderen Kinder.
Vor einigen Wochen wurde ein 38-Jähriger aus Schöningen am Landgericht Braunschweig wegen schweren sexuellen Missbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet. Zuerst berichtete die WAZ über diesen Fall.
Mittäterschaft der Mutter?
Die Lünerin war zu dem Zeitpunkt der Inhaftierung des Mannes seine Lebensgefährtin. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt auch gegen die Mutter. „Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Eine Anklage wird vorbereitet“, sagt Hans Christian Wolters, erster Staatsanwalt am Landgericht Braunschweig.
Das Strafmaß kann von einer unterlassenen Hilfeleistung bis hin zur Mittäterschaft bei sexuellem Missbrauch reichen. Daher müsse man die konkrete Anklage abwarten, sagte Wolters. Mit dieser sei nicht vor Mai zu rechnen.
„Kuscheln“ mit dem neuen „Papa“
Über eine Datingapp lernten sich die Frau und der Mann aus Niedersachsen – der bereits zuvor wegen eines ähnlichen Delikts zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde – im Frühjahr 2022 kennen. Rund um Ostern des vergangenen Jahres zog die Mutter aus Lünen mit ihren fünf Kindern – Zwillingssöhnen, zur Tatzeit im vergangenen Jahr sechs Jahre alt, einer Tochter (sieben), dem Elfjährigen sowie dem ältesten Sohn (17) – nach Schöningen. Dort lebten sie einer Dreizimmer-Wohnung.
Bei der Gerichtsverhandlung kam heraus, dass es bereits wenige Tage nach der Ankunft zum ersten Fall sexueller Gewalt an dem Elfjährigen kam. Die kleinen Geschwister bezeichneten das in Vernehmungen als „kuscheln“ mit dem neuen „Papa“. Der Täter filmte den Alltag mit dem Handy, das später beschlagnahmt wurde, berichtet WAZ-Gerichtsreporter Hendrik Rasehorn.
Anzeige gegen einen Polizisten
Die Taten fielen auf, weil der älteste Sohn der Lünerin zusammen einer ehemaligen Nachbarin die Taten anzeigte. Beide informierten das Jugendamt in Lünen. Auch das Jugendamt in Schöningen wurde in Kenntnis gesetzt. Die Behörde wies die Mutter an, sie dürfe mit den Kindern nicht mehr in die Wohnung des Mannes zurückkehren. Sie tat es trotzdem. Einen Tag später wurden die Kinder durchs Jugendamt Helmstedt mit Unterstützung der Polizei in Obhut genommen.
Zudem zeigte der damals 17-jährige Sohn den Lebensgefährten seiner Mutter auch bei der Polizei Lünen an. Auf der Wache habe der Diensthabende die Anzeige nicht annehmen wollen, behauptet der Jugendliche. Die Nachbarin meldete dies dem Jugendamt Lünen. Die Behörde erstattete schließlich Missbrauchsanzeige bei der Polizei Dortmund. Diese leitete gegen den Lüner Polizisten ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts einer Strafvereitelung im Amt ein.
Die Staatsanwaltschaft Dortmund prüft aktuell strafrechtliche Konsequenzen. „Die Ermittlungen dauern an. Der Polizeibeamte konnte noch nicht vernommen werden“, berichtet Henner Kruse, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Falls es zu einer Anklage gegen den Polizisten kommt, droht ihm eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Die Kinder leben weiter von ihrer Mutter getrennt.