Vor 90 Jahren So kamen die Nazis in Kamen und Bergkamen an die Macht

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Stadtarchivar Robert Badermann mit Unterlagen, die die Machtübernahme der Nazis in Kamen dokumentieren.
Stadtarchivar Robert Badermann mit Polizeiakten, die die Machtübernahme der Nazis in Kamen dokumentieren. © Stefan Milk
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Während in diesen Tagen in Europa wieder ein fürchterlicher Krieg tobt, gibt es eine Menge Gedenktage an die schlimme Zeit des Totalitarismus in Deutschland. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz, woran am Freitag am Standort der ehemaligen jüdischen Synagoge, dem heutigen Mahnmal an der Hochstraßen-Auffahrt, mit einer Kranzniederlegung gedacht wurde. Und am 30. Januar jährt sich der Tag der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zum 90. Mal. Im „Haus der Stadtgeschichte“ zeigt Stadtarchivar Robert Badermann Interessierten Dokumente aus dieser Zeit, Klaus Goehrke von der Bürgerinitiative Zivilcourage hat in einem Vortrag und Schriften zusammengestellt, wie die Nazis auch hier in der Stadt die Macht ergriffen.

Wie alles in der Geschichte, muss man auch den Aufstieg der Nationalsozialisten im historischen Kontext betrachten. Hyperinflation und Ruhrbesetzung 1923 sowie die Weltwirtschaftskrise ab 1929 boten den Nährboden, damit immer mehr Menschen den Parolen der Nazis folgten und diese bei Wahlen mehr und mehr Stimmen gewannen. Auch das damals mit rund 12.000 Einwohnern sehr überschaubare Kamen litt unter den Auswirkungen. Von 2.300 Beschäftigten im Bergbau wurden binnen Kurzem rund 1000 Menschen entlassen. Zwar war der Anteil der NSDAP-Wähler Anfang 1930 mit rund fünf Prozent in Kamen noch gering, doch schon am Tag der Machtergreifung im Bund startete eine riesige Propagandamaschine auch im „roten“ Kamen und so erodierten die demokratischen Parteien mehr und mehr.

Der Opfer des Holocausts wurde am Freitag bei einer Kranzniederlegung am Mahnmal am Sesekedamm gedacht.
Der Opfer des Holocausts wurde am Freitag bei einer Kranzniederlegung am Mahnmal am Sesekedamm gedacht. © Marcel Drawe

Aufmärsche der Nazis

Immer wieder kam es nach dem 30. Januar 1933 und in der Folgezeit zu Aufmärschen der Nazis in der Innenstadt. Die Bevölkerung wurde eingeschüchtert, missliebige Politiker anderer Parteien verhaftet. Versuche der KPD und der Arbeiterschaft – mehrheitlich Bergleute – Gegendemonstrationen zu veranstalten, wurden mit Gewalt klein gehalten. Direkt aus der Hauptstadt setzte Hermann Göring (damals Innenminister) sogar einen neuen Polizeichef ein, um „die Unruhen in Kamen zugunsten der NSDAP niederzuschlagen“ (Goehrke). Der Einsatz einer „Hilfspolizei“ – die nichts anderes als ein Schlägertrupp der SA war – tat das Übrige.

Als Ende Februar/Anfang März 1933 eine Welle von Massenverhaftungen vorwiegend politisch aktiver Bürger stattfand, stellte sich rasch die Frage, wo man die große Zahl der Verhafteten unterbringen sollte. Auf Empfehlung des damaligen Betriebsinspektors der Zeche Monopol, Wilhelm Tengelmann, fiel die Wahl auf das „Wohlfahrtsgebäude“ der Zeche in Bergkamen-Schönhausen – bis dato genutzt zur Betreuung von Kleinkindern. Und so wurde – während die Nazis unter Anwendung illegaler Mittel auch die Macht in den Räten übernahmen – in Bergkamen eines der ersten deutschen Konzentrationslager geschaffen.

Stefan Milk
Klaus Goehrke von der Bürgerinitiative Zivilcourage hat in einem Vortrag und Schriften zusammengestellt, wie die Nazis auch in Kamen und Bergkamen die Macht ergriffen. © Stefan Milk

Acht Monate KZ Schönhausen

Die Nationalsozialisten stärkten derweil weiter ihre Macht. Eine Verhaftungswelle nach der anderen rollte. Neben politischen Führern von SPD und KPD wurden bereits im April 1933 auch erste jüdische Mitbürger verhaftet und nach Schönhausen verbracht. Bis zu 250 Menschen waren dort zwischenzeitlich untergebracht. Im Lager selbst herrschte, wie in allen KZs, Terror und Gewalt. Schon die Unterbringung selbst war menschenunwürdig, Prügel, Stiefeltritte und Schlafentzug waren an der Tagesordnung.

Schon bald war die Zahl der Verhafteten so groß, dass immer wieder Gefangenentransporte in andere Städte organisiert wurden. Da der Terror der Nazis und die Verhaftungen aber immer weitergingen, füllte sich auch Schönhausen immer wieder. Erst im Oktober 1933 wurde das KZ nach acht Monaten aufgelöst. Die Nazis aber blieben. Bis zu jenem 8. Mai 1945, der, wie der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker schon 1985 sagte, auf ewig mit dem 30. Januar 1933 zusammen genannt werden muss.