
„Da fehlen mir die Worte”, erklärt Ömar Özalp in Bezug auf die Erdbebenkatastrophe, die sich am Montagmorgen im Südosten der Türkei ereignet hat. Der Schock steht ihm ins Gesicht geschrieben, allgemein bleibt der Kamener recht still.
Im Moment überwiegt in ihm die Sorge. Um seine Verwandten, die in der türkischen Provinz Hatay nahe der syrischen Grenze leben. Das Gebiet ist stark von den Erdbeben betroffen. Gebäude sind eingestürzt, die Infrastruktur ist massiv beschädigt – Leute sind verschüttet. Das ist wahrscheinlich auch mit der Familie von Özalp passiert.
Zustand der Großfamilie unbekannt
„Alle wohnen in einem großen Haus in Antakya”, erklärt der ehemalige Bergmann Özalp. „Zwölf Parteien sind nur meine Familie – Bruder, Schwester, Neffen, Cousins.” Von den meisten hat er seit dem Unglück nichts mehr gehört. Das Wohnhaus sei umgekippt. Zwei Verwandte wurden bereits tot geborgen, eine Schwägerin und ihr Sohn zum Glück gerettet. Ob die anderen noch leben, weiß er nicht.
„Das Schlimmste ist das Warten”, sagt sein Neffe Serkan Mutlu. Der 39-Jährige lebt ebenso wie sein Onkel in Kamen, kann seinen Kopf aber nicht von den Bildern freimachen, die ihn aus der Türkei erreichen. Am liebsten würden er und sein Onkel in die Türkei fahren und vor Ort mithelfen, selbst nach den Verwandten suchen.
„Wie in Science-Fiction-Filmen”
Das ginge aber nicht. Zum einen, weil die Region durch die Schäden an der Infrastruktur fast abgeschnitten ist, zum anderen „will man zwar helfen, aber man will da auch nicht im Weg sein”, sagt Mutlu.
Die Nachrichten, die per WhatsApp auf den Handys der beiden eingehen, zeigen wie schlimm es um die Stadt steht: „Die haben nichts mehr”, erklärt Mutlu. „Es ist komplett auf Null gestellt. Selbst wenn Menschen gerettet werden – das Krankenhaus wurde zerstört.”

Auch die Telefonleitungen sind kaputt, so Özalp. Dass es zu dem Unglück in der Heimatregion kam, haben die beiden auch über WhatsApp erfahren. „Wir sind morgens aufgewacht und hatten Nachrichten von Bekannten aus Ankara”, erklärt Mutlu. „Die haben uns gefragt, ob wir die Nachrichten schon gesehen haben.”
Erst als er den Fernseher anschaltete, konnte er eine Vorstellung davon gewinnen, was überhaupt passiert war. „Man kann gar nicht glauben, wie schlimm es da ist”, sagt der 39-Jährige. Überall sehe man eingestürzte Gebäude; das Viertel, in dem die Familie wohnt, war stark bebaut. „So etwas kennt man sonst nur aus Science-Fiction-Filmen”, sagt Mutlu und schüttelt ungläubig mit dem Kopf. Alles, was er von dem Ort kennt, ist dahin.
„Wir müssen hoffen, dass sich unsere Verwandten in den Keller gerettet haben”, sagt Özalp. Doch auch dort können sie sich nicht lange aufhalten; eine baldige Rettung muss geschehen. Glück im Unglück hatte Özalps Neffe, der zur Zeit des Erdbebens im Auto unterwegs war. Deshalb wurde er nicht verschüttet.

Wer überlebt hat, kann sich jedoch nicht automatisch in Sicherheit wiegen. Neben der Gefahr von Nachbeben besteht auch die von Explosionen aufgrund von beschädigter Leitungen. „Deshalb müssen die Heizungen aus bleiben”, berichtet der 51-jährige Özalp. Die Temperaturen in der Türkei ähneln denen in Deutschland. „Die Leute frieren.” Auch in unbeschädigten Gebäuden fehlt der Strom, selbst Lampen können nicht eingeschaltet werden. Dass aus Deutschland so viele Kleider- und Sachspenden kommen, wie bei der Aktion im TSC-Heim, ist deshalb umso wichtiger.
Was genau in Hatay momentan passiert, erfahren die beiden meist über Bekannte, die entweder selbst vor Ort helfen oder jemanden kennen, der es tut. Immer wieder kommen Bilder per WhatsApp, meist um die Lage zu zeigen. Manchmal aber auch von einzelnen Personen, die lebend gefunden wurden. Und jedes Mal stockt den beiden der Atem, in der Hoffnung, dass es ein Verwandter sein könnte.