Wer bei der schnellen Vorbeifahrt glaubt, dass auf dem Feld an der Afferder Straße ein Campingplatz entstanden ist, der liegt nur fast richtig. Denn in dem weißen Verschlag, der an ein mobiles Wohnheim für Camper erinnert, leben Hühner. Nicht nur zwei oder sieben. Sondern genau 303 – 300 Legehennen und drei Hähne. Sie bilden den neuen Legebetrieb des Hofs Ligges, der über die Stadtgrenzen hinaus für den Anbau von Kürbissen bekannt ist. Das automatische Hühnermobil mit dem Namen „Hümo Plus Kombi“ bildet ein neues Standbein für den Wasserkurler Bauernhof, der stets kreativ mit Landwirtschaft umzugehen weiß.

Julius Ligges am normalerweise verschlossenen Legebereich. In der Schicht aus Dinkelspitz liegen frische Eier. © Marcel Drawe
220 Eier am Tag
Die Landwirte Volker Ligges (51) und Sohn Julius (22), der an der Fachhochschule Südwestfalen Agrarwirtschaft studiert, sind gerade dabei, die Ernte an dem zweistöckigen Gefährt einzufahren. „Zurzeit sind es täglich etwa 220 Eier“, berichtet Volker Ligges. Die Zahl steige von Tag zu Tag. Als die Legehennen noch jung waren – 18 Wochen Ende Oktober – seien es nicht mehr als 20 Eier gewesen. Seitdem steigt die Zahl. „Es könnten etwa 280 pro Tag werden“, so Julius Ligges.
Die Bedingungen für die Hühner sind ideal und entsprechen der Biolandverordnung. 1300 Quadratmeter Freifläche sind mit einem orange leuchtenden Weidezaun abgespannt. Jedem Huhn stehen damit durchschnittlich 4,3 Quadratmeter zur Verfügung. „Das ist noch etwas mehr als die vorgeschriebenen vier Quadratmeter“, so Volker Ligges.

Obergeschoss, Hühnermobil: Über einen Wassertank werden die Nippeltränken versorgt. Mit einer Spirale werden die Futterschalen aus dem Futtersilo beschickt © Marcel Drawe
Eier aus dem Automaten
Der Clou des Freiland-Legebetriebs ist aber das nahezu vollautomatische Hühnermobil. „Das Mobil ist komplett autark. Oben gibt es eine Photovoltaik-Anlage, innen einen Batteriespeicher, mit dem zu jeder Tageszeit Strom verfügbar ist“, so Volker Ligges. Dazu gibt es Wassertank und Futtersilo, die nur einmal wöchentlich nachgefüllt werden müssen. Ausgemistet wird ebenso nur einmal wöchentlich – über ein aufrollbares Mistband, das über eine Kurbel betrieben wird. „Es ist hier alles durchdacht und bis ins kleinste Detail ausgetüftelt“, freut sich der Landwirt über die neue Anschaffung. Vertrieben werden die frischen Eier auf dem Hof. Und auch dort gibt es eine kreative Lösung: Die Eier kann man sich per Selbstbedienung zu jeder Tageszeit holen – über einen Automaten, der in einem eigenen Raum auf dem Hof steht.
Steuerung mit der Astro-Uhr
Automatisch läuft auch der Betrieb im Hühnermobil ab, der unten einen sogenannten Kaltscharr-Raum und darüber den Stall mit langen Hühnerstangen, Futterschalen und Nippeltränken hat. Gesteuert wird der Prozess über die sogenannte „Astro-Uhr“, die über Sensoren erkennt, wann es hell und dunkel wird. Gesteuert werden damit Licht, Auslaufklappen, Fütterung und das Auslösen der Nestverriegelung.

Vorsichtig werden die Eier aus dem Legebereich genommen. Sie werden in sogenannte „Eierhürden“ gelegt.Drawe © Marcel Drawe
Eier werden selten „verlegt“
Diese wird erst geöffnet, wenn die Hühner ausreichend Auslauf und Futter erhalten haben. Dann können sie in den geschützten Bereich ihres zweigeschossigen Heims. „Der Legebereich ist mit Dinkelspitz ausgelegt“, berichtet Julius Ligges. Dinkelspitz ist die zarte Hülle des Getreides und bildet ein weiches Legebett. „Die Hühner suchen sich bewusst diese geschützte, dunkle Ecke“, so der Junior. Es komme kaum einmal vor, dass die Eier auch woanders gelegt – sozusagen „verlegt“ – würden.

Auf dem Feld gibt es reichlich Auslauf. In den Schutzhauben finden die Hennen Unterschlupf. © Marcel Drawe
Fünf Watt pro Huhn
Damit die Hühner auch immer etwas zu fressen haben, wird ihr Mobilheim etwa einmal wöchentlich versetzt. Über ein hydraulisches Fahrwerk wird das Mobil angehoben, sodass es mit dem Trecker weiter gezogen werden kann. So finden sie stets frische, grüne Wiesen, die ohne Nachsaat auskommen.
Die Federtiere können auch über Winter in ihrem Heim bleiben, weil das Fahrzeug und seine Segmente durchisoliert sind. „Man sagt, dass ein Huhn fünf Watt Energie abgibt“, schmunzelt Volker Ligges. Bei 300 Hühnern, die sich auf den zwei Geschossen verteilen, ergibt das einen ausreichenden „Heizwert“.

Die Anhängerkupplung, mit dem das Mobil regelmäßig an den Trecker gekoppelt wird, um es zu versetzen.Drawe © Marcel Drawe
Plötzlich Wirbel im Hühnerstall
Und doch ist plötzlich für Wirbel im Hühnerstall gesorgt. Als sich am Himmel ein Kleinflugzeug nähert, merken es die Hühner zuerst. Aufgeregt flattern sie los und suchen Schutz unter dem Wagen. „Sie halten das Flugzeug für einen Habicht“, erklärt Julius Ligges, als plötzlich kein Huhn mehr zu sehen ist. Als diese merken, dass keine Gefahr droht, ist die Aufregung schnell vorbei. Und vermutlich teilen sie die Einschätzung der beiden Landwirte: „Das System ist super. Mehr kann ein Huhn nicht haben.“
Jahrgang 1968, aufgewachsen in mehreren Heimaten in der Spannbreite zwischen Nettelkamp (290 Einwohner) und Berlin (3,5 Mio. Einwohner). Mit 15 Jahren erste Texte für den Lokalsport, noch vor dem Führerschein-Alter ab 1985 als freier Mitarbeiter radelnd unterwegs für Holzwickede, Fröndenberg und Unna. Ab 1990 Volontariat, dann Redakteur der Mantelredaktion und nebenbei Studium der Journalistik in Dortmund. Seit 2001 in Kamen. Immer im Such- und Erzählmodus für spannende Geschichten.
