Vom Recht darauf, unperfekt zu sein, und dem Klassendenken des Menschen
Mittagsrunde am Sonntag im Park: Es ist schon drei Grad über null und gerade hat es auch ein wenig zu regnen begonnen. Trotzdem möchte ich kurz raus. Schließlich liegen noch Reste von Schnee – und wer weiß, wann ich das nochmal erleben darf.
Mein Freund kommt mit und schlägt vor, einen kleinen Schneemann zu bauen. Die Wiese unter den Resten der weißen Pracht ist matschig, voller Laub und Dreck, den die Kugeln für Beine, Leib und Kopf des Schneemanns mit aufnehmen. Trotzdem sind kindlicher Spieltrieb und Ehrgeiz schnell geweckt. Unser Schneemann wächst – wenn auch mit schmuddeligem Kleid und Antlitz.
Zum Abschluss erhält der Kleine eine freche Frisur aus Stöckchen, die zu seinem rotzigen Äußeren passt. Wir sind zufrieden und setzen unseren Weg weiter fort. Da schlendert ein anderes Paar über die Wiese, bleibt vor unserem Schneemann stehen und tritt mit voller Wucht hinein. Mehrfach. Erst er, dann auch sie; es scheint ihnen großes Vergnügen zu bereiten.
Irritierend: Die Schneemann-Treter waren keine halbstarken Jugendlichen, sondern erwachsene Leute, Mitte 30 bis 40 Jahre alt, gekleidet, als wohnten sie in einer schicken Altbauwohnung im an den Park grenzenden Kreuzviertel.
Ich frage mich, ob unseren Schneemann das gleiche Schicksal ereilt hätte, wenn ein prächtiger Zylinder sein Haupt geziert, er stolz eine perfekte Karotten-Nase und eine weiße Weste getragen hätte?