Als Helga Meissner den kleinen Raum im zweiten Stockwerk ihres Hauses in Fröndenberg betritt, wird sie gleich stürmisch empfangen. Ihre kleinen Gäste krabbeln flink an ihren Beinen hoch, machen es sich in ihrem Nacken bequem und krabbeln vor Aufregung an dem Gitter, das an dem großen Rundbogenfenster angebracht ist, bis unter die Decke. Der Raum ist mit Tüchern, kleinen Höhlen, einem Tunnel und zwei großen Käfigen ausgestattet. Die kleinen Bewohner sind aber nicht darin eingesperrt – denn sie brauchen Platz zum Toben. Die vielen Nussschalen auf dem Boden verraten schnell, wer hier haust. Es sind Eichhörnchen.
Auffangstation für Eichhörnchen
Während die älteren Eichhörnchen ihr eigenes „Zimmer“ haben, bleiben die wenige Wochen alten und geschwächten Tierchen unten im warmen Wohnzimmer der Meissners. Die ältesten „Hörnchen“ - so nennt Meissner ihre Schützlinge – sind indes draußen untergebracht. Das großzügige Außengehege ist die letzte Station vor ihrer Auswilderung. Seitdem die gelernte Tierarzthelferin im Jahr 1999 ein Eichhörnchen ihrer Nachbarin aufgenommen hat, ist in ihrem Haus ununterbrochen füttern, pflegen, verarzten und spielen angesagt. Bis Juli 2017 war das noch in Holzwickede und nun in Fröndenberg. Eichhörnchen seien personenbezogen und sie müsse den Kontakt halten, damit sie bis zum Auswildern Vertrauen in sie haben, sagt Meissner „Ich bin der Baum, der Spielball, einfach alles“, sagt sie auf die Frage, wie sie mit den Hörnchen spielt. „Ich muss einfach nur da sein.“

In „ihrem“ Zimmer haben die Eichhörnchen Platz, um sich auszutoben. Hier bleiben sie, bis sie in das Außengehege kommen – und dann in den Wald. © Marcel Drawe
Schutzlose Waisen
Doch wenn es um die Verpflegung der Hörnchen geht, reicht es bei Weitem nicht, einfach nur da zu sein. Es reicht auch nicht, sich im Internet zu informieren, und oft wisse auch ein Tierarzt nicht, wie man die Tiere richtig versorgt. Die Medikamente würden ihnen oft schaden, erzählt Meissner. Und meist entflohen Tierärzte die Nager und das sei tödlich. Anfangs wusste auch Meissner nicht alles über die Pflege von Eichhörnchen, doch jetzt ist sie eine Expertin. „Ich habe es von den Eichhörnchen gelernt. Ich war eine Autodidaktin.“, sagt sie. Sie habe aber nicht nur alles über Aufzucht, Verhalten und die Eigenschaften der Tiere gelernt, sondern auch verstanden. Zum Tierarzt gehe sie nur im Notfall und dann sei sie bei der Untersuchung dabei. Die 58-Jährige verarztet kranke oder verletzte Tiere aber meist selbst. Oft haben sie Nasenbluten oder eine Gehirnerschütterung, weil sie tief gefallen sind – beispielsweise, wenn ein Baum gefällt wird, in dem sich ein Eichhörnchen-Kobel befindet.
Dankbar für Spenden
Im ersten Jahr hat sie sechs Eichhörnchen aufgezogen, im darauffolgenden Jahr waren es acht – und nun sind es zwischen 60 und 80 Hörnchen pro Jahr. Die kleinen Höhlen, das große Außengehege, die spezielle, besonders gut verträgliche Aufzuchtmilch, die sie in Amerika bestellen muss, zahlt sie aus eigener Tasche. Hinzu kommt das Futter, das neben Obst, Gemüse und Kinderkeksen vor allem aus Nüssen besteht. Rund 800 Kilogramm Walnüsse verfüttert Meissner pro Jahr an die kleinen Nager. Über Nussspenden freut sie sich deshalb sehr – auch Nüsse aus dem vergangenen Jahr schmecken den Hörnchen noch. Manche Finder spendeten auch eine kleine Summe, das komme aber eher selten vor, so Meissner. Wer Nüsse spenden möchte, erreicht Meissner unter Tel. (01 71) 9 41 89 59. Besonders nach dem trockenen Sommer kann sie die gut gebrauchen – ihr Nusslieferant habe schon angekündigt, dass die Preise in die Höhe schießen werden, weil er viel gießen musste. Voriges Jahr habe sie viele Nüsse zukaufen müssen, weil der Winter so kalt war.

Helga Meissner hat hinter ihrem Hof ein großes Außengehege für ihre Eichhörnchen. Dort haben sie kleine Holzhütten, in denen sie die Tiere in den Wald bringt. © Marcel Drawe
Die Menschen sind schuld
Das Wetter spielt aber noch eine weitere Rolle bei der Eichhörnchen-Aufzucht. So rufen besonders viele Finder an, wenn es große Stürme gibt. Als 2007 der Orkan Kyrill in Deutschland tobte, musste Meissner sogar ihr Telefon abschalten, weil sie nicht alle Eichhörnchen unterbekommen hätte. Nach dem Sturmtief Friederike, das im Januar dieses Jahres für Chaos sorgte, blieb Meissners Telefon jedoch still – denn da gab es noch keine Jungtiere. Geboren würden die meisten Eichhörnchen zwischen Mitte Februar und September. Unwetter sind aber das kleinere Übel. Der Grund dafür, dass tatsächlich so viele Eichhörnchen ihre Mutter verlieren, sind die Menschen. Neben Baumfällarbeiten seien auch nicht abgedeckte Regentonnen oder Gartengifte Todesursachen für Eichhörnchenmütter, erklärt Meissner, die mit einer mobilen Praxis für Tierhomöopathie selbstständig ist. Wenn sie die Tiere in den Wald bringt, ärgert Meissner sich außerdem über Müll – besonders Glasflaschen. „Eichhörnchen sind sehr empfindlich. Die Menschen sollten umweltfreundlicher handeln“, appelliert sie.
Neu in Fröndenberg
Meissner ist eine von wenigen in der Umgebung, die Eichhörnchen aufzieht, um sie dann schnellstmöglich wieder in die Freiheit zu entlassen. Eine weitere Station wäre da nicht schlecht, doch zu oft seien die Leute – wenn sie denn geeignet sind – nicht konsequent genug. Nach ein paar Wochen würden die meisten ihre Hörnchen wieder bei Meissner abgeben wollen, doch das ginge nicht – „man muss sich das gut überlegen. Wenn, dann muss man es von A bis Z machen“, sagt sie. Fremdaufgezogene Tiere nehme sie nicht auf, weil die Tiere Angst vor Fremden haben. Noch nimmt die selbstständige Tierhomöopathin aber Tierchen auf – auch wenn das eine Menge Arbeit bedeutet. Schließlich müssen neugeborene Eichhörnchen alle zwei Stunden gefüttert werden – das mache sich am nächsten Tag schon bemerkbar. Sie könne aber kein Eichhörnchen sterben lassen und „sie sind süß, witzig und geben Lebensfreude“.
Eichhörnchen-Auffangstation in Fröndenberg
Jahrgang 1991. Vom Land in den Ruhrpott, an der TU Dortmund studiert, wohnt jetzt in Bochum. Hat zwei Katzen, liest lieber auf Papier als am Bildschirm. Zu 85 Prozent Vegetarierin, zu 100 Prozent schuhsüchtig.
